Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 12. Januar 1944
den 12.1.44
Liebster Mann!
Zum Dank für Deinen schönen langen Brief bekommst Du sofort wieder einen. – Um sofort mit dem Wesentlichen zu beginnen: die Einkommensteuererklärung muss dieses Jahr abgegeben werden und da musst Du Holbach, Engels, Weil, Grashof und Salvini bearbeiten. Übrigens bin ich dafür, auch Holbach für Kriegsdauer abzugeben, damit ich nicht unnötiges Geld abgeben brauche und nur Arbeit davon habe. Ich hatte bei der letzten Abrechnung nach Bonn 23.- Mk. Überschuss, gebe ich also Holbach ab, bleiben immer noch 12.- Mk., die ich dem Landratsamt in den Rachen werfen muss. Soll ich an Holbach deswegen schreiben?
Mutter geht es, soweit ich das beurteilen kann, gut. Vielleicht erholt sie sich doch wieder. Ich gehe jeden Tag hin, und sonst bekommt sie viel Besuch, so dass sie sich nicht langweilen braucht.
Lisbeth hat eine Furunkulose im Ohr, die Dr. Jülich zuerst falsch behandelt hatte. Dr. Jäger hatte Lungenentzündung. Nun habe ich heute bei ihm angerufen, und er hat sie angenommen. Das Ohr ist völlig zu, die Schmerzen sind dementsprechend. Infolgedessen ist sie auch nur halb arbeitsfähig und tut in ihrem großen Pflichtgefühl, was sie kann. - Ach, Paps, wäre das schön, wenn Du vor den Frühjahrsereignissen noch einmal einen Kurzurlaub bekämst. Ich glaube, ich werde Dich dann sehr
Ich habe alle fünf hier im Wohnzimmer, trotzdem ich ihnen das Spielzimmer so schmackhaft gemacht habe. Draußen regnet es Bindfäden, also ein ungemütlicher Tag für eine Mutti mit fünf Kindern. Ich preise ihnen die Spielsachen schon in den verlockendsten Tönen an, aber sie wollen hierbleiben und machen nichts wie Unsinn.
Helga schicke ich nachher in die Schultheissgasse zur H.J. Sie muss dort das ausgefüllte Jugendstammblatt abgeben, weil sie ja in die H.J. kommt. Dieses Stammblatt läuft von jetzt bis zum Aufnahmeantrag in die Partei und prüft, wie alle solche Blätter auf Herz und Nieren. Das ist nun nach der Schule der zweite Schritt, den sie in ein eigenes Dasein tut.
den 15.1.44
Heute morgen habe ich drei Briefe von Dir bekommen. Das war herrlich. Mutter geht es auch bedeutend besser. Man sieht daran, dass Herzgeschichten völlige Ruhe brauchen, und wie ich das, wenn sie wieder hier ist, bewerkstelligen soll, weiß ich noch nicht. Sie soll zwei Monate dort bleiben, und dann, hat die Schwester Oberin zu mir gesagt, dürfte sie zu Hause nur liegen, nicht mehr die kleinste Kleinigkeit tun und am Tage höchstens einmal ein Kind zu ihr. Im übrigen völlige Ruhe.
Wie soll das bloß gemacht werden? Das Herz ist so völlig kaputt, dass nur allergrößte Schonung und völlige Ruhe sie am Leben halten können. Nur mach das in unserem Hause mal möglich, außerdem kann ich die Mutter nicht so ruhig halten.
Ich erzählte ihr gestern, dass die Schwester Oberin gesagt habe, dass sie von n un ab nichts mehr ge-
tan werden dürfe, worauf Omi wie eine Gesunde im Bett auffuhr und sagt: „Nein, da lasse ich mir von keinem dreinreden. Wenn ich mich im Hause beschäftigen möchte, dann tue ich es.“ Worauf ich ihr sagte, dass ich, als die Schwester Oberin mir die Predigt gehalten hatte, ich sie gebeten hatte, es der Omi selber zu sagen, weil das bei mir keinen Erfolg hätte. Worauf wir dann beide lachten, und die Omi sagte, das ginge die Schwester Oberin gar nichts an.
Aber im Ernst: Ist Omi zu Hause, haben wir schon nach kurzer Zeit den alten Zustand wieder. Und ich werde das Schuldgefühl nicht los, dass ich dann an der Verschlechterung die Schuld trage, weil auf mein Konto das lebhafte Haus und die fünf Kinder gehen. Ich habe keine Schuld, das weiß ich, aber trotzdem komme ich mir schuldig vor. Schon allein, weil es immer heißt: Ja, so ein lebhaftes Haus und so viele Kinder sind nichts für die kranke Frau. Und weil man ja schließlich nicht verlangen kann, dass die Omi aus ihrem Haus zieht, habe ich eben das Gefühl, dass ich widerrechtlich hier bin. Vielleicht bist Du nun böse, und meinst, ich konstruiere was, aber dass es der Omi hier zu Hause schlechter geht, weil so viele Aufregungen sind, die wir als Gesunde nicht empfinden, die aber für eine solche kranke Frau wahres Gift sind, habe ich eben das Schuldgefühl.
Lisbeths Furunkel geht es noch nicht besser, nun kann sie Dr. Jäger auch nicht behandeln, weil er auch krank im Bett liegt. Er hat scheinbar seine Lungenentzündung nicht auskuriert. Man muss in allem selbständig werden.
Wenn Du kommst, schiebe doch die Verwaltung Holbach ab. Ich habe eben die Abrechnung gemacht, nach der mir dann wieder 60.- Mk. abgezogen werden. Das finde ich hässlicher, als wenn ich dröppchenweis 12.50 von Holbach bekomme, von denen ich dann doch nichts habe.
Ich schicke diesen Brief rasch ab, sonst wird es noch einen Tag länger.
Schultzens haben nur Fensterschäden. Im übrigen muss es in Stettin toll aussehen. Heuses haben Dach, Fenster und Türen kaputt und frieren erbärmlich.
Backpulver gibt es hier auch nicht. Wovon ich für neun Leute und eventuellen Besuch Kuchen backen soll, weiß ich nicht. Ich habe kein Ei, und durch den Wegfall von Butterschmalz sind wir auch mit Fett knapp geworden. Mehl habe ich genug, aber das allein nützt auch nichts.
Heute nachmittag gehe ich wieder zu Mutter. Sie hat es gut dort und bekommt so schönes Essen. Bloß dass auch nicht ein Körnchen Salz, drin ist, vergrämt sie. Viele liebe Küsse, Din Lött