Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 25. Juni 1944

den 25. 1.44

Mein liebster Mann!

Ich hatte heute schon einen Brief angefangen, aber er war so, wie meine Stimmung in den letzten Tagen war, etwas mutlos und niedergeschlagen durch alles, was so um einen passiert und vielleicht passieren wird, und durch all die Erschwerungen im täglichen Haushalt. Es lohnte sich also nicht, ihn abzuschicken.

Nun war ich heute nachmittag bei Fräulein Hunscheidt, und das Gespräch mit ihr, das eben nicht nur beim Alltäglichen bleibt, hat mich wieder einigermaßen in meine alte Verfassung gebracht. Wenigstens so weit, dass heute abend vielleicht ein vernünftiger Brief an Dich entstehen wird. Wenn ich blos endlich die für mich passende Feder finden würde. Aber vielleicht muss sie noch entdeckt werden.

Irgendwie bist Du heute abend doch weit weg. Ich finde nicht die Nähe, die ich sonst beim Briefschreiben habe und schreibe irgendwie in die Luft. Aber sonst bekommst Du wieder keinen, und dann haben wir beide keine Post.

Ich fange übrigens wieder mit Fräulein Hunscheidts Ratschlägen an zu üben. Wenn ich ja auch keine Künstlerin mehr werde, so befriedigen mich diese abendlichen Übungsstunden doch sehr, und ich habe das Gefühl, etwas geschafft zu haben, was ich, auch wenn ich zwanzig Paar Strümpfe an einem Tag gestopft hätte, dann nicht habe. Diese Strümpfe sind auch in den nächsten Tagen wieder zerrissen, ohne dass man ein Weiterkommen sieht.

Zwei weniger schöne Nachrichten:

1. Dieter Volz ist gefallen, was mir sehr leid tut um den prächtigen Jungen und

2. wird das

Päda nun verstaatlicht. Es herrscht große Aufregung und Trauer in den betroffenen Kreisen. Es wird wohl eine SS-Heimschule, unser Päda. Konnte damit nicht bis nach dem Krieg gewartet werden? Kühne soll selber nach Berlin gefahren sein, um die Sache abzuwenden. Den Hausdamen soll auch schon gekündigt sein. Jetzt kämen unsere Jungens nie mehr aufs Päda.

Helga und Heidi mitsamt dem Freundinnenanhang haben es jetzt mit dem Theaterspielen. Sie sind nur noch Elfen und Prinzessinnen. Omi Hechtle hatte nun auch so viele schöne Schleier und Flittergewänder aus amerikanischen Beständen. Dazu hat Helga meinen grünen Pagenanzug entdeckt, in dem wir das Makarenfest feierten. Ach, Papps, wie lange ist das her? Und nun ist bald

schon wieder Hochzeitstag. Den wievielten feiern wir eigentlich wieder zusammen? Es wird vielleicht schon der nächste sein, denn ich glaube auch, dass dieses Jahr die Krise kommt. Und wird es dann so, dass wir wieder an den Aufbau einer gemeinsamen Existenz denken können? Diese Gedanken in die Zukunft lassen mich oft nicht schlafen. Man soll sich am besten keine Gedanken machen, aber dass man auf sein Geschick so gar keinen Einfluss hat, ist auch kaum zu überdenken. Aber vielleicht überlasse ich die Gedanken darüber doch besser Dir und helfe Dir hinterher nur bei der Ausführung.

Klaus und Ursel kamen gestern vom Milchholen und erzählten eifrig und ihrer Mithilfe in häuslichen Angelegenheiten durchaus bewusst, dass Engelberts Schweinebraten hätten,

Omi stürzte sofort hin, und es gab natürlich keinen. Ich fragte daraufhin die beiden, die entrüstet erklärten, sie hätten selber gesehen, wie sie vom Wagen geladen wurden: „Bloß der Kopf und der Bauch und die Beine waren noch dran.“

Ach, Pappi, wenn doch aus dem Kurzurlaub was würde. Andererseits dürfen wir auch nicht mehr Dinge verlangen, die für andere schon lange unerreichbar geworden sind, z.B. unser häufiges Sehen. Man kommt sich gerade unbescheiden vor, wenn man dann noch Wünsche hat. Aber schön wär´s eben doch.

Vielleicht kriegst Du diesen Brief gerade am Hochzeitstag und deswegen besonders liebe Küsse

Deine Lotti