Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 20. Oktober 1940
Reinsehlen, den 20.10.40
Mein liebes Lottenkind,
über die Heide geht mein Gedenken zu Dir. Ich habe heute das schönste Heideerlebnis gehabt. Es ist Sonntagabend. Wir sind heute zum 1. Mal ausgeführt worden. Birkelbach ist für 2 Tage verreist, deshalb hat er uns einem anderen Korporalschaftsführer aufgehangen, der führte uns mit seiner Korporalsschaft bei herrlichstem Sonnenwetter – auf dem kürzesten Weg = ½ Stunde in die nächste Kneipe, wo wir um 1 Uhr 30 ankamen. Dann eröffnete er uns freudestrahlend, daß wir es uns bis 21 Uhr dort wohl sein lassen sollen. Ach du großer Gott! Draußen schien die herrlichste Sonne, das Wirtszimmer war in kürzester Zeit vollkommen verqualmt und nun 7 Stunden. - - - Hildebrandt und ich fragte daher bescheiden, ob wir nicht ein wenig raus in die Sonne dürften. Das wurde huldvoll erlaubt. Aus diesem – ein wenig - wurde dann eine der herrlichsten Wanderungen von über 4 Stunden, die ich je gemacht habe, Wir kannten weder Weg noch Steg und tappten sozusagen in die herrlichste Heide hinein. Zuerst ging der Weg birkenumsäumt durch Tannenwald, dann gab es herrlich gefärbte Buchen und Eichen zwischen den dunklen Tannen und auf einmal standen wir vor einem herrlichen alten Herrensitz im niedersächsischen Stil. Umsäumt von dunklen Tannen und brennenden Laubbäumen stand er da – Jahrhunderte alt mit Strohdach in breiter Behäbigkeit wie gewachsen. Wir haben ihn lange bestaunt und Pläne gemacht, wenn man mal 4 Wochen, na Du weist ja.
Dann gingen wir noch einige 100 Meter weiter und standen wie gebannt in einem Wacholderpark. Wie Flammen schossen die Wacholderpyramiden
dicht nebeneinander auf. Weiß schlängelte sich der Sandpfad hindurch und über allem ein unwahrscheinlich blauer herrlicher Himmel. Dann plötzlich öffnete sich ein unglaublicher Fernblick in weit geschwungene sonniges Land mit herbstbunt leuchtenden Wäldern, einsamen Birken und ins Unendliche gehenden hellen Wegen. Wir standen lange und haben wohl beide dasselbe gedacht. Wie wäre ich glücklich gewesen, wenn Du an meiner Seite gestanden hättest. Wir hätten sicher auch nicht sprechen können, aber wir hätten uns gespürt. Über die Heide geht meine Gedenken - - -. Als wir uns nach langer Zeit umdrehten, stand Hermann Löns zwischen den Holderbüschen mit grünem Jägerhut und Jagdanzug, die Büchse über der Schulter, den Blick in die Ferne gerichtet. Weidmannsheil, rief ich ich zu., Er hob die rechte Hand und rief Weidmannsdank. Es war unser Horstkommandant. Er hat es geflissentlich übersehen, daß er uns weit von der erlaubten Grenze antraf. Über weiche Moospolster, in denen der Fuß beinahe versank sind wir abseits des Weges heimgegangen. Aus der Wirtschaft drang uns grölender Männergesang entgegen – auch am Sonntag – wir haben das gastliche Haus kunstgerecht umgangen und nun sitze ich hier und versuche, Dir einen Eindruck von meinem Erlebnis zu vermitteln.
Heute habe ich von Dir nur einen langen Geschäftsbrief bekommen. Den unterschriebenen Scheck findest Du einliegend. Vorgestern hatte ich richtiges Heimweh. Beim Geburtstag meines Heidimädchens wäre ich doch gar zu gerne bei Euch gewesen. Ich hatte Mühe, meine Gedanken beim Dienst zu halten.
Nun leb wohl und grüße alle.
Ich bin bei Dir auch über 600 km weg.
Du mein liebstes Lotting. Du!
Dein Harald