Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 22. Dezember 1940
B., den 22.XII.40
Mein liebes Lottenkind,
Also das wär, Gott sei Dank, überstanden, das offizielle Weihnachtsfest meine ich. Daß ich nichts davon erwartete, schrieb ich Dir wohl schon, aber daß es so wenig Weihnachtlich werden würde, hatte ich doch nicht geahnt. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mit meiner Weihnacht ganz in Gedanken zu Euch zu retten. Eine Schilderung des gestrigen Betriebes hier, will ich Dir ersparen, es genügt zu sagen, daß das einzig Positive eine Portion Würstchen mit Bratkartoffeln war. Um so sehnlicher erwarte ich einen Weihnachtsbrief von Euch. Ich habe heute wieder etwas im „Advent im Gebirge“ (= Advent im Hochgebirge“, isländische Novelle) gelesen, um mir wieder etwas Weihnachtsstimmung zu erkämpfen und um den Ekel loszuwerden, den der gestrige Betrieb in mir zurückgelassen hat. Gleich werde ich noch ein Paketchen machen, in das einige nützliche Sachen, die ich noch ergattern konnte, hinein sollen. Das gibt auch etwas Freude. Das Einkaufen von Sachen mit Seltenheitswert ist das Beste, was ich mit meinem Sold machen kann. Diesmal werde ich allerdings etwas für die Weihnachtstage behalten, damit ich etwas unternehmen kann. Eben kommt die Post, die 3., aber es ist wieder eine Miete, es ist nichts von Dir mit dabei. Es ist nachgeschickte Post aus Amsterdam. Ich muss also weiter warten. Warten ist scheußlich! Ich tröste mich damit, dass ich wahrscheinlich dann mehrere Briefe auf einmal bekommen werde. Aber ich habe noch eine sehr große Freude gehabt, mein süßes Kind!
Ich schrieb Dir schon, daß ich meine letzte Post aus Amsterdam in Zug nach hierher gelesen habe. Als ich jetzt heute klein morgen vorsichtshalber die Briefumschläge noch mal nachsah, bevor ich sie wegwerfe, fand ich – Lotting die Idee war zu schön - die Locke von Dir. Es war als hätte es so sein sollen. Jetzt in dieser Lage, war mir die Freude noch viel nötiger als damals. Ich werde die Locke im Brustbeutel stets bei mir tragen, damit sie ganz nahe bei mir ist. Hab vielen vielen Dank. Es ist richtig wie ein Weihnachtsgeschenk.
Mit meinen Kameraden hier auf der neuen Bude habe ich scheinbar Glück, es sind größtenteils Westphalen aber treue Kerle. Ich bin hier zum Stubenältesten ernannt worden und muss den Haufe(n) in Ordnung halten. Hildebrandt ist auch dabei. Gestern habe ich für unsere Bude einen Baum organisiert und geschmückt. Das war ja auch immer meine Aufgabe zu Hause. Ich habe immer an Euch gedacht. Wie selbstverständlich war das früher und heute würde es das größte Glück bedeuten. Ich wühle auf jeden Tag weiter wegen des Urlaubs. Weihnachten ist aber schon endgültig Essig.
Mein liebes Herz, sei nicht traurig, ich komme bestimmt, auch wenn es noch 2-3 Wochen dauert. Ich werde einfach meinen Vorgesetzten unausstehlich mit meinen dauernden Vorstellungen.
Mein süßes Kind, ich hab Dich lieb.
Dein Harald