Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 11. Februar 1941
Sch. Den 11.II.41
Mein liebes Lotting,
Nun wird die Zeit hier schnell zu Ende sein und wenn ich auch hier wirklich nicht viel gehabt habe, so denke ich doch schon mit einem gewissen Schauder daran, dass ich ein helles freundliches Zimmer mit hellem Licht und einem herrlichen Bett mit einer Baracke, Strohsack und dgl. vertauschen muss. Dafür handele ich dann aber wieder eine freundlichere Gegend und Ernst Hildebrandt ein. So hat alles 2 Seiten. Jeder Tag bringt mich aber auch meinem Urlaub näher und das ist köstlich. Ach Lotting, ich freue mich ja so. Hoffentlich ist dann schon etwas Frühlingswetter und vielleicht blüht schon ein schüchternes Blümchen im Steingarten, oder haben ihn die Kinder endgültig verwüstet?
Gestern nacht war hier schwerer Rabbatz (!) Die Flak hat uns beinahe aus dem Bett geschossen und heute geht es schon wieder los, ob gleich wir heute ganz plötzlich innerhalb von wenigen Minuten von herrlichem Sonnenschein echten London-fog bekamen. Der Kanal vor unserem Gefechtsstand ist wieder sicher und viele Schiffe, die alle irgendwo eingefroren gelegen hatten, beleben ihn auf das Lustigste (?)
Ich komme jetzt ab und zu schon mal eine Stunde dazu ein Buch zu lesen. Wilhelm Lichtschlag hat zahlreiche Reclambändchen dar, die ich mir ausleihen. Gestern habe (ich)
2 schrecklich aufregende und gespenstische Geschichten von Edgar Allen Poe gelesen, heute soll Iwan Turgeneff mit einer Novelle Bunin und Baburin (?) drankommen. Vor ein paar Tagen habe ich von Rudolf Utsch „Herrin und Knecht “ gelesen. Es war nicht sehr viel. Kennst du Utsch? Ich werde mir im Urlaub auch Reclambändchen kaufen. Wie gefällt dir die „kleine standhafte Katze“ oben. Wenn es nichts ist kannst Du es umtauschen. Ich habe mir den Umtausch extra vorbehalten.
Wilhelm spielt gerade Gitarre. Er spielt gut, meistens alte Kompositionen für Gitarre als Soloinstrument von Sor und Segovia (alte Spanier), aber wir haben auch schon zusammen aus dem Zupfgeigenhansl gesungen. Es ist doch schön, dass er hier ist! Ich bin jetzt fast ausschließlich mit ihm zusammen. Dann ist da noch ein älterer Kraftfahrer aus Berlin. Walter Maiss heist (!) er. Er ist auch ein sehr netter Kerl. Er sinkt jeden Tag förmlich in sich zusammen, wenn er mal keine Post von seinem Frauchen bekommt. Im Zivilberuf ist er (unleserlich) -einkäufer für ein großes Geschäft.
Ach Lotting, was bauen doch die Holländer für drollige Häuser. Die Räume sind viel kleiner als bei uns. Ich muss immer an Dänemark denken. Und Treppen bauen sie hier, dagegen ist unsere Speichertreppe noch bequem. Sagt mir nur nichts mehr gegen unsere Treppe. Sie kommt mir wie eine Schlosstreppe vor gegen die hier. Und Küchen, Ach du grundgütiger Strohsack! Du kannst Dich kaum rumdrehen. Es gibt auch keine Speisekammer, es gibt keine Keller, es gibt keine Speicher, wo tuen die Leutchen nur
ihre Brocken hin. Im Schlafzimmer kann man keine 2 Betten nebeneinanderstellen. Ne, das wär nichts für uns. Unsere kl. Villa ist aber weiß tapeziert, hat einen anständigen Ofen und ein richtiges kleines, gekacheltes W.C. Ach, wie werde ich das vermissen!
Ich möchte mal wieder einen guten Film sehen und mich mit jemanden darüber unterhalten. Wilhelm ist nicht leicht in einen Film zu bringen. Es gibt hier ja auch nur ein Kino und das bringt schon seit Wochen nur Hans Albers in 2-4 Rollen in einem Film. In einer ist er schon kaum noch erträglich. Wilhelm ist ein Mensch von starkem Persönlichkeitswert, aber er ist nicht frei von Voreingenommenheit.
Hör mal, kennst Du nicht eine Ruth Passmann, etwa 20-21 Jahre alt. Ich meine so etwas gäbe es in Godesberg. Aber heute kommt bei uns ein Brief an, an einen unbekannten Offizier der Luftwaffe. Er wurde geöffnet und ging von Hand zu Hand, aber keiner der Offiziere hatte Interesse. Eine Rheinländerin Ruth Passmann schreibt darin, sie wäre in Haarlem bei einer Militärbehörde angestellt und hätte noch garkeine Bekanntschaft, sie wäre blond, 1,68 m hoch u.s.w. , sie wäre ganz anders, wie die anderen Mädchen, möchte aber doch gern einen jungen, netten Offizier kennenlernen. Auf welch eigenartigen Dreh kommen doch die Werber um ihr Ziel zu erreichen. Was muss Ruth aber für eine miese Tucke (?) sein, wenn sie in Haarlem keiner will, denn am guten Willen ihrerseits fehlt es doch, weiß Gott, nicht. Wir haben den Brief nun neu
kuvertiert und nach Bergen weitergeschickt. Vielleicht findet sich doch noch eine Kriegsbekanntschaft für Ruth. Ich habe auch einen Brief an Onkel Becker geschrieben, der am 14.II. Geburtstag hat. Ich bin nach dem Dienst nur immer zu müde, sonst würde ich noch viel mehr schreiben. Das Schreiben erfordert auch eine ungewöhnliche Konzentration, da rings um einen her alles Mögliche geschieht. Man wird dauernd gefragt u.s.w. Das Schreiben auf dem Gefechtsstand ist auch Essig, da wir jetzt so viel Arbeit haben, dass wir unsere Zeit dringend benötigen um unseren Kram fertig zu kriegen. Gestern nacht waren hier über 70 Durchflüge des Tommy. Leider haben unsere Nachtjäger nur 1 heruntergeholt wenn ich sie so nachts brummen höre (die Flak sorgt schon dafür, dass man sie hört) muss ich immer an Euch denken, ob sie auch nicht nach Godesberg fliegen.
Ich schreibe auch in den nächsten Tagen an Helga einen Brief. Ich habe mich doch über das nun habe ich wieder süße Gekraksel und über die niedlichen Unbrauchbarkeiten, die sie mir zu Weihnachten gearbeitet hat, so gefreut.
Omi Hechtles Brief erreichte mich auch letzter Tage auf dem Umweg über Bergen. Sag ihr herzlichen Dank.
So nun Schluss für heute
Grüße alle im Hause und Dir 1000 Küsse
Dein Mann