Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 27. Mai 1941
Bergen, den 27.5.41
Mein liebes Lottenkind,
also gestern bin ich ganz genau mehrere Stunden untersucht worden. Sogar geröntgt bin ich worden. Ergebnis vollkommen gesund. Mein Zustand hatte 2 Ursachen. 1. Reaktion auf zu wenig Schlaf und Überarbeitung. 2. Frühjahr ohne Frau sagte der Oberarzt schmunzelnd. C´est la guerre. Urlaubssperre. Aber ich bin doch beruhigter und deshalb geht es mir schon viel besser.
Hier ist es auch ganz langsam Frühling geworden. Der Wald hat sich gefärbt und die Wiesen sind grün geworden. Seit einigen Tagen regnet es. Bisher war es immer trocken, kalt und stürmisch.
Ich finde bei meiner alten Post noch die Briefe von Löll (?) und v. Brocke. Ist das Haus Römerstr. nun vermietet und an wen? Rebensburg wollte doch am 1. 6. ausziehen. Ich glaube es hat gar keinen Zweck mehr, vom Vermieter eine Provision zu verlangen. Man verdirbt sich nur das Geschäft. Schreib mir mal was die R- Werke nun mit Hausen anfangen. Was wird mit den anderen Häusern der weggehenden Ringsdorffherrn. Hast Du Dich mal darum gekümmert. Die Briefe lege ich bei. Hast Du dafür gesorgt, dass mein Rad von Zeit zu Zeit aufgepumpt wird? Es darf nicht platt stehen.
Hab ich Dir schon geschrieben daß sich unsere Feldpostnummer geändert hat, sie lautet L09742 usw. Über Dein Büchlein und die Zigaretten habe ich mich sehr gefreut. Gott sei Dank daß es nicht der goldene Topf war. Ich schicke ihn Dir, Urteile selbst. Ich lese im Augenblick Heinrich Hauser “ Männer an Bord“. Es sind sehr plastische Erzählungen von einem dem Schiffsromantik im Blut steht und der noch erzählen kann. Wilhelm L. hat es mir geliehen. Unsere Geschmäcker gehen sonst sehr auseinander. Ich habe ihn aber für Fontane begeistert.
Ich habe 3 Aufnahmen, die ich in Alkmaar gemacht habe für Dich vergrößern lassen. Und will sie Dir zum Geburtstag schicken.
Das Heftchen „Von deutscher Baukunst“ schicke ich auch zurück. Ich habe es 2mal gelesen, aber – ich glaube – nur halb verstanden. Es ist für meine jetzige geistige Verfassung etwas zu hoch. Ich will es später in Ruhe nochmal lesen.
Wir bekommen in letzter Zeit ganz fantastisch anmutende politische Berichte. Z.B. Freundschaftsvertrag mit Frankreich in Vorbereitung. Frankreich zahlt keine Reparationen. Wir räumen Frankreich bis auf Elsaß-Lothr. und die Kanalküste. Frankreichs Kolonialbesitz unter gemeinsamer deutsch-franz. Verwaltung. Japan stellt uns 70 Kriegsschiffe zur Handels-störung (???) Im Pazifik zur Verfügung. Deutsche Flugzeuge im Irak. 3 Flugplätze in Syrien stehen zu unserer Verfügung. Verhandlungen mit der Türkei. Ausbau der Beziehungen zu Russland usw. Das ist wahrhaft dynamische Politik. Überall kommt England ½ Länge zu spät.
Will keiner unserer Bekannten Stoff haben?
Wenn Geßler eingezogen wird gibt es einen großen Knall. (Ahnt Harald hier etwas?) Aber er wird ja wohl als Zahnarzt eingezogen werden. Sie nur zu, daß Deine Zahnbehandlung rechtzeitig abgeschlossen ist und dränge auch Mutter. Ich habe ihr Päckchen mit den Strümpfen bekommen; ich danke recht herzlich. Ich kann sie sehr gut gebrauchen. Aber wo bleibt der Stoffapparat? Wenn Du ihn schickst, dann schicke bitte meine Sockenhalter mit.
Hoffentlich hat Blatzheim überwiesen, damit Du Dich bewegen kannst.
Ich las vorgestern in einem Lagebericht über englische Einflüsse „große Eigendringtiefe Godesberg. Da habt Ihr aber in dieser Nacht wieder Alarm gehabt. Einige erzählen hier, Köln sähe schrecklich aus. Wenn Du Dich mit Steffens mal treffen würdest, das finde ich sehr nett.
Wo bleiben eigentlich die 20-Pf.-Marken. Wollt Ihr keine Pakete mehr. Ich kann sie hier nur unter großen Schwierigkeiten besorgen. Muß aber die Päckchen frankieren.
Ich grüße Euch alle herzlich und Dir schicke ich 1000 Küsse. Dein Harald
(am Rand:) der Brief ist nicht sehr schön. Ich bin etwas durcheinander.