Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 4. Februar 1944
den 4.2.44
Mein liebster Mann!
Es herrscht ein Schweinewetter, Sturm, Hagel, Schneetreiben den ganzen Tag, und dabei ist schon wieder Voralarm. Die armen Leute, die seit heute keine Fensterscheiben mehr in Godesberg haben.- Und ich erzähle Dir ein bisschen von der ganzen Geschichte.
Der Alarm fing bei sehr schönem, sonnigem Wetter an bei blauem Himmel und weißen Wolken, was sich dann kurz nach dem Angriff auf Godesberg in dieses Dreckwetter verwandelte.
Es war schon ein richtiger Angriff, glaube ich, wenn man auch ein kleiner. Zufallsbomben waren das nicht mehr. Lisbeth, die, wie die Wellen andröhnten, oben blieb mit der Behauptung, sie könne sich um die blöden Amerikaner nicht kümmern, sie müsse arbeiten, stand gerade auf dem kleinen Balkon und sah dann dreizehn Flugzeuge ziemlich tief ankommen, so dass sie noch dachte, da sie in Richtung Bonn flogen, die tun uns nichts mehr. Und in diesem Augenblick ging ein richtiger Bombenregen los, der ja nicht lange dauerte, aber in dem Moment doch lange erscheint. Lisbeth wusste nicht, wie sie die Treppen runterkam, während es immer weiter rummste.
Hergenommen ist die Gegend Bonnerstraße, Schlachthof, Pionierstrasse. Die Schienen der Elektrischen bei der Wurzerstrasse
und der Eisenbahn stehen senkrecht in die Luft. Das Straßenbahndepot ist ebenfalls getroffen. Ebenso die Gasleitung, denn wir haben bis heute abend immer noch kein Gas, während das Wasser wieder läuft, aber rötlich. Fünf Zeitzünder sind im Laufe des Tages in die Luft gegangen. Friesdorf soll auch allerlei mitbekommen haben. Was in Bonn passiert ist, weiß ich noch nicht, es soll aber auch viel abgekriegt haben.
Draußen drückt der Wind bald die Fensterscheiben ein. Der arme Herr Vogel, der nun heute nacht ohne schlafen muss draußen in der zugigen Wurzerstraße. Er tat sich auch sehr leid und stieß bei der Stadtverwaltung auf keine große Gegenliebe, denn auf seine Meldung hin antworteten sie ihm nur, es seien außer seinen noch einige tausend Fensterscheiben in Godesberg kaputt, und er müsse sich gedulden.
Helga hat heute mittag einen Schneemann fabriziert, so viel Schnee hat es doch gegeben. Heidi war unglaublich bockig und ungezogen. - Heute ist richtig ein Wetter fürs Bett. So war es lange nicht mehr. Aber ich warte lieber die Entwarnung ab. Der Wehrmachtbericht spricht von einem Terrorangriff auf Wilhelmshaven. Hast Du Stoltenhoffs angetroffen? Welche Zeit, mein Mann! –
Als Du wegfuhrst, konnte ich diesmal nicht so richtig traurig sein. Das spitzbübische Gefühl überwog, diese drei Tage mal wieder gehabt zu haben (das kann einem nicht mehr genommen werden) und als festen Besitz zu buchen. Erst gegen Abend mischte sich darin eine Ungeduld bis zum nächsten Urlaub, denn die drei Tage genügten doch nicht, und da bekam ich dann sozusagen ein wehes Herz.
Ich habe bei Beitin für die Biederbicksche Hochzeit noch eine kleine Blume auftreiben können, sie kostete 2.50 Mk., den Namen habe ich aber nicht behalten können, er war zu lateinisch.
Mutter hat den Alarm gut überstanden, sie hatte nur große Sorge um uns. Die Mu steckte gerade beim Friseur und wollte aus der Haustüre mit ihrem schön frisierten Kopf, als sie wieder zurück in den Keller raste. Wäre sie etwas früher weggewesen, wäre sie gerade in der Bonner Straße in den Keller geraten, denn sie wollte dort einen Füllfederhalter zur Reparatur bringen.
Ich rufe Dich morgen früh an, denn sonst habe ich auch Sorge um Dich wie Du vielleicht um uns.
den 5.2.44
Eben haben wir zwei miteinander gesprochen und wissen nun, dass uns beiden nichts passiert ist. Die Godesberger müssen sich scheinbar nicht gut mit dem lieben Gott stehen, denn dieses Schweinewetter, wie es nur alle paar Jahre vorkommt mit diesem Sturm und diesen Schnee- nd Hagelschauern ist nun seit gestern ununterbrochen im Gang und scheint noch nicht aufzuhören. Wie mögen da die Decken brechen und was zieht das in die Zimmer. Unser Wasser ist rötlich und setzt einen Niederschlag aus Ton und Erde ab. Ich lasse es die Kinder vorsichtshalber nicht roh trinken, denn keimfrei ist es sicher nicht.
Wann kommt das Telegramm? Aber es ist lieb, dass Du es geschickt hast. Bitte, teile mir nochmal Deine Nummer mit, falls ich wieder anrufe.
Abends, nachts und morgens gingen immer noch Zeitzünder in die Luft, bis jetzt acht. Was haben wir es gut, dass wir wenigstens die lütte Herdecke haben, aber was machen unsere Bekannten, die nur einen Gasherd haben? Oma im Krankenhaus musste gestern aus dem Grund auf den Nachmittagskaffee verzichten.
Mein Familienunterhalt ist noch immer nicht da. Ich nehme an, weil Frankfurt so hergenommen wurde. Von dem dortigen Postscheckkonto kommt jetzt nämlich das Geld vom Landratsamt. Gut, dass ich aus dem vorigen Monat einen kleinen Vorsprung habe.
So langsam legt sich die Aufregung, denn für Godesberg war der gestrige Tag immerhin noch eine Sensation. Bloß Gas haben wir noch nicht, und infolgedessen konnte heute abend auch kein Kinderbad steigen. Ich hätte mir ja eine größere Ofenplatte gekauft, wenn ich sowas geahnt hätte, nun muss alles auf der kleinen geschafft worden und das geht manchmal nur mit Hindernissen.
Helga sitzt neben mir mit schreckgeweiteten Augen, ich soll ihr sagen, ob das ein deutscher Jäger oder ein Amerikaner in der Luft ist. Wir haben nämlich Voralarm. Ich selber war eine ganze Zeit nicht anwesend, weil ich über uns beide nachdachte. Und das kann man doch nicht alles zu Papier bringen. Ich dachte an unser gemeinsames Verständnis für viele Sachen, an unsere schönen, uns allein gehörenden Stunden, an alle Deine liebenswerten Seiten, an unsere Kinder und an den verflixten Kriegsurlaubsschein. Es ist nicht alles einfach, und manches verwirrend.
Nun sind die vier Seiten voll, 10000 Küsse
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