Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 26. Februar 1944
den 26.2.44
Mein lieber, lieber Mann!
Ich bin so froh, dass Du geschrieben hast. Heute morgen kamen gleich zwei Briefe, und in einem davon war endlich Dein Bild, ein hübsches, so dass der Rahmen nicht mehr so leer auf meinem Tisch stehen braucht. Ach Paps, auch ich sehne mich nach dem ruhenden Pol, mitten in diesem Gebtriebe, und den finde ich doch auch nur bei dir.
Heute mittag kommt nun Omi Endemann wieder. Ob's gut geht? Die bekannte schlechte Stimmung hat sich diesmal zum ersten Mal im Krankenhaus gezeigt vor einigen Tagen, und als ich heute morgen rasch eine Stippvisite machte, um nachzusehen, hatte sich diese Stimmung noch nicht gebessert. Schwester Oberin sagte gestern, dass sie die Omi von dieser Seite noch nicht kennengelernt hatte und nicht gedacht habe, dass sie so sein könnte, sich so auf der Schattenseite des Lebens fühlend. Es wird auf jeden Fall nicht leicht sein, ihr jetzt etwas recht zu machen. Schwester Oberin meinte, sie hätte ruhig noch ein paar Wochen dortbleiben sollen, weil sich ja nirgendwo etwas findet, wohin sie zur Erholung kann Aber sie wurde ganz aufgeregt. Sie hätte überall nach dem Rechten zu sehen, und außerdem hätte sie ihre Geldangelegenheiten in Ordnung zu bringen, und darum müsste sie nach Hause, auch wenn sie darüber sterben sollte. Deshalb lassen wir ihr auch den Willen, ich sehe sie aber in den nächsten Wochen schon wieder im Krankenhaus liegen. Neben Omi liegt jetzt eine Dame, die dasselbe hat, die aber stimmungsmäßig ausgeglichener und energischer ist. Überhaupt ist das das Schlimmste bei Omi Endemann, das Ertragen der Stimmungen. Pflegen tun wir sie gerne, diese Mehrbelastung nehmen wir gerne auf uns, wirklich, und es soll ihr auch an nichts fehlen, bloß dieses Niewissen, wie man´s recht macht, wirkt auf uns alle bis auf die Kinder, und dann ist unser Haus kein Krankenhaus, und das wird sie uns persönlich übelnehmen. Fräulein Wolf wird auch das Ihre dann dazutun.
Ich freue mich auf die Erbsen. Das gibt zwanzig Mahlzeiten.
Ich suche gleich Säckchen heraus und schicke sie. Herrn Siefgen hatten wir schon voriges Mal gefragt, aber das ist nicht möglich. Er kriegt kaum fürs Päda Gemüse. Und dann wird er, wenn was abfällt, für sich sorgen und das kann man ihm auch nicht übelnehmen.
Der Radiomann war mal da und versprach, den Apparat zu holen. Dabei ist er dann geblieben. Ebenso ist es mit Berg, Radermacher, Beerenrath usw.
Ihr habt jetzt viel Alarm, wir auch. Die letzte Woche bis auf heute war es zum Jeckwerden. In vierundzwanzig Stunden 10 Mal, davon manchmal 5 Mal Vollalarm. Das war so der Durchschnitt. - Heidi war begeistert. Der war das Wichtigste, dass sie auf diese Weise keine Schule hatte, Helga schmeckte Essen und Trinken nicht mehr vor lauter Angst, die übrigen blieben unberührt. Wenn das der Auftakt zum Frühling wird, können wir uns ja freuen. Wenn bloß die Sirene nicht so nahe wäre, der Schreck wäre halb so groß.
Die Zweige in der großen Vase haben zweieinhalb Wochen dagestanden. Es war entzückend, wie die Knospen aufgingen und die Blättchen kamen, sogar zu Blüten haben sie es noch gebracht, wenn sie auch nicht mehr rot wurden, sondern weiß blieben. Gleich will ich nochmal ein paar Zweige schneiden, damit wir Sonntag ein geschmücktes Zimmer haben. - Du glaubst nicht, wie ich mich über die Erbsen freue. Wir bekommen jetzt nur noch samstags Gemüse, und dann nur einen Kohlkopf, das ist nicht viel. Auch mit den Nährmitteln komme ich nicht mehr aus, während ich früher am Ende des Monats immer noch Vorrat hatte. Die Kinder werden größer, und der Appetit wächst entsprechend.
Sage Fräulein Canisius auch, dass die Nachricht mir sehr leid tut.
Ich lege Dir hier die Abrechnung bei von Dr. Früchte bei. Sei nicht böse, ich konnte nicht anders. Am 1. zahle ich den Rest, der Scheck ist schon ausgeschrieben. Und mir wäre damit ein Felsen von der Seele. Das Konto balanciere ich schon aus, das lass meine Sorge sein. Den dazugehörigen Brief, was evtl. noch zu zahlende Zinsen und sonstiges betrifft, schreibst Du vielleicht.
Viele liebe Küsse, Din Lött.
Schreib recht bald wieder. Ich muss jetzt für Omi und Sonntag vorarbeiten.