Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 5. März 1944
den 5.3.44
Liebster Mann!
Dies ist so die übliche Sonntagmorgenzeit, Dir zu schreiben. Die Kinder sind zum Kindergottesdienst, im Haus ist alles festtäglich still, eben weil sie weg sind, und dann ist die Aussicht auf ein leckeres Essen da. Der Tag selber ist diesig, so dass wir wohl Ruhe haben werden.
Gestern war es desto toller. Von halb neun morgens bis nach fünf nachmittags wechselten sich Voralarm, Hauptalarm und Entwarnungen in lieblicher Reihenfolge ab. Mächtige Überfliegungen hatten wir. In Bonn brannten Münster und Rathaus, die Universität und einige Institute sind getroffen, und im übrigen in allen möglichen Straßen der Innenstadt. Auf der Reuterstraße soll ein Flugzeug runtergekommen sein. In Godesberg ist nichts passiert. Dies alles nur zu Deiner Beruhigung, falls Du wieder hörst, dass Bonn dran war. Die Flugzeuge flogen sehr tief.
Deine Mutter tut mir schrecklich leid. Nun musste sie heute nacht wieder aufstehen. Ruhe hat sie keine mehr. Stimmungsmäßig ist sie trotzdem gut, nicht launisch, und desto lieber tut man ihr nun jeden Hilfsdienst. Sie wird
sehr hilfsbedürftig. Das Herzasthma quält sie so, besonders bei den Alarmen hat sie vor Schreck sehr mit Atemnot zu kämpfen. Im übrigen steigen die Jäger schon wieder auf. Im Krankenhaus wurde sie bei jedem Alarm mit der Bahre in den Aufzug geschafft. –
Vor mir liegt seit Tagen ein Brief, auf dem steht: Sehr lieber Pappi. Ob Helga den jemals fertigkriegt?
den 8.3.44
Nun ist dieser Brief wieder tagelang liegengeblieben. Wir hatten zu viel Umtrieb, darunter allerlei, was mir Sorgen macht. Mutter geht es wieder gar nicht gut. Schwester Erna meinte, sie müsse doch wieder ins Krankenhaus. Aber ich mache mir nun Sorgen um die Kosten. Die Krankenkassen zahlen 11 Wochen, die zuletzt eingegangene wohl weniger, und dann wird ein Jahr lang nichts mehr gezahlt. Die Kosten werden wohl an mir hängen bleiben. - Dazu ist nun endlich Borg für den Waschtisch gekommen, und nun stellt sich heraus, dass in der Wand ein Rohrbruch ist, für den die Wand in der zweiten und vielleicht auch in der ersten Etage aufgeschlagen werden muss. Das gibt auch große Kosten für mich. Ich sehe vor meinem geistigen Auge einige 100 Mark auftauchen, die ich beschaffen muss, und ich weiß nicht woher, besonders, wo ich den großen Bären abgebunden habe.
Vieleicht kannst Du mir doch einen Rat geben. Schwester Erna meinte, ob der Familienunterhalt die Krankenhauskosten übernähme. Sieh mal, wir müssen damit rechnen, dass Mutter so noch monatelang dort lebt, und das Geld dafür muss beschafft werden. Schwester Erna wollte auch nichts davon wissen, dass sie in unserer Pflege bleibe, weil, wenn sich der Zustand noch mehr verschlimmere, dies für mich zu anstrengend sei. Mutter bat schon, ich solle nachts bei ihr schlafen, und das muss auch sein, weil sie so von Atemnot geplagt wird. Außerdem sagt Schwester Erna, jede Strophantinspritze sei ein zweischneidiges Schwert, und darum sei es besser, die würden im Krankenhaus gegeben, damit schnelle Hilfe zur Hand wäre. Ich wünsche bloß, dass Mutter keine lange Leidenszeit mitmacht, denn dies ist kein Zustand. Nun ist sie zwölf Tage zu Hause und der Arzt (Dr. Jülich) ist trotz mehrfacher Erinnerung noch nicht wieder hier gewesen. Infolgedessen ist sie ohne Spritze geblieben. Das ist natürlich ein unhaltbarer Zustand. Schwester Erna, die ich rief, kam auch erst heute, am dritten Tag.
Der Drahtfunk funktioniert. Ich höre ab, und danach wird dann gehandelt, oder alles bleibt liegen.
Den Kindern geht es gut, bloß sind wir alle so fleisch-und vitaminhungrig. Wir warten sehnsüchtig auf die Hülsenfrüchte, um unseren Küchenzettel etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Gestern habe ich von Frau Schubert ein Ei!!!!! geschenkt bekommen. Das habe ich Mutter gekocht und dazu ein paar Teebrote mit Wurst gemacht. Das hat ihr geschmeckt. In Eile 1000 Küsse, Deine Lotti