Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 22. März 1944

den 22.3.44

Mein liebster Mann!

Heute morgen war ich so richtig verzweifelt. Die Krankenkasse wird wohl für Mutter die letzte Rechnung nicht mehr bezahlen, und sie liegt doch schon wieder im Krankenhaus. Ich werde wohl aus den Sorgen nie herauskommen. Was mache ich bloß? Wir müssen Mutter wohl wieder nach Hause nehmen, denn ich besprach es heute morgen mit Schwester Elfriede und Schwester Oberin, und die meinten auch, dass gerade diese Herzkranken noch monate- und vielleicht jahrelang so leben können. Krankenhaus und Arzt kosten im Monat zusammen ca. 500 Mk, und nun denke, dass Mutter vielleicht nochmal 10 Monate dort liegen müsste. Ich kann das doch unmöglich aufbringen. Weißt Du einen Weg, der ihr das Krankenhaus ermöglichte, oder soll ich sie nach Hause nehmen? –

Beide Schwestern erklärten mir, dass es Mutter recht gut ginge, sie seien bei ihr gewesen. Als ich zu Mutter kam und sagte, ich freute mich, dass es ihr so gut ginge, sagte sie, dass die Schwestern das nicht beurteilen könnten, ihr ginge es sehr schlecht und anschliessend daran stöhnte sie wieder in rythmischen Pausen vor sich hin Siehmal, ich kenne mich da nicht aus und bin dann ganz unglücklich. Und diese wechselnden Stimmungen machen mich zu Hause ja auch kaputt. Schwester Oberin meinte dann hinterher, ich müsse davon ganz unbeeindruckt bleiben, denn diese Herzkranken litten immer an wechselnden Stimmungen, und ich dürfe bloß kein Schuldgefühl bekommen, ich hätte etwas nicht richtig gemacht. Und das habe ich doch dann immer.

Nun liegt alles wie eine Last auf mir, besonders die pekuniäre Seite. Nun habe ich mich gemüht, alle Schulden loszuwerden, und muss noch lange bei mir operieren, bis ich mit mir im Klaren bin, nun kommt diese neue Sorge auf mich zu. Die Schwester sagte, die Mutter sei nur so auf den Hund gekommen, weil die ärztliche Behandlung fehlte. Du weißt ja, dass der Arzt in den

Eben höre ich dass die eine Bombe bei Dreesen in den Rhein gefallen ist. Und wir plagten uns mit den Kleinen, die sich aus Müdigkeit sperrten, in den Keller zu gehen.

ganzen zwölf Tagen nicht da war trotz allen Telefonierens. Und sie muss täglich oder mindestens jeden zweiten Tag behandelt werden. Dann kann sie noch sehr lange leben.

Sieh mal, wenn Mutter zu Hause läge, kämen immer noch die hohe Arztrechnung und die Spritzen, die sie nicht allein im Monat bezahlen kann und wobei ich helfen müsste, und das wäre schon Belastung genug für mich.

Nun hat Mutter auch einen solchen infernalischen Hunger, den ich auch nicht für normal halte. Schwester Oberin bat mich, ich möchte von jetzt ab Butter besorgen, denn das könne das Krankenhaus von seiner knapp zugeteilten Butterration nicht machen. Ich, meinte sie, müsse dann den Kindern eben Marmelade aufs Brot geben. Das tue ich, aber dass mir das wiederum als Mutter schwer fällt, kannst Du Dir vielleicht auch denken. Denn die Kinder haben einen unglaublichen Hunger, und den kann ich doch nicht nur mit Marmeladebroten stillen. Sie sind im Wachsen. Zulage kriegt Mutter keine, weil sie kein Untergewicht hat. Wie sollen wir sie hier bloß satt bekommen? Wir haben ihr in der letzten Zeit hier schon immer das zwei-bis dreifache an Brot gegeben, was wir bekommen - ich möchte ja gerne, aber ich habe es doch nicht, genau so wenig wie das Krankenhaus oder noch weniger.

Das Leben ist nicht mehr schön. Gestern abend mussten wir auch Hals über Kopf alle Kinder aus dem ersten Schlaf reißen. Nun wird ja über alle deutschen Sender ab gestern stündlich und, wenn nötig, auch zwischendurch die Luftlage bekanntgegeben. Sind das Vorzeichen der Invasion, eine Art Alarmbereitschaft? Ich schwimme richtig in einem Sorgensee, von den Seen der Kleinen gar nicht zu sprechen. –

Ach, Liebster, vielleicht ist doch irgendwann ein Urlaub möglich, ehe der große Kladderadatsch kommt. Wenn ich bloß meinen Kopf an Deine Schulter legen könnte und mit Dir alles besprechen.

Sieh mal, wenn Mutter das Wohnzimmer, das doch sonnig liegt, als Schlafzimmer eingerichtet kriegt und wenn sie dann regelmäßig ihre Spritzen bekommt, könnte sie bei uns genauso leben wie im Krankenhaus. Die Schwester sagte auch, nicht unser Haushalt hätte sie auf den Hund gebracht, lediglich das Nichtkommen des Arztes.

Mir selber geht es seit gestern nicht gut. Merk Dir den 21. Ich habe mich verspätet. Ich gerate auch durcheinander.

Und draußen schneit es so sehr. Das Paket aus Jever ist noch nicht da.

1000 liebe Küsse

Deine Lotti,
die Dich lieb hat!!