Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 22. April 1944
den 22.4.44
Liebster Mann!
Ich hatte vor, heute abend zuerst endlich mal mit den Briefen, zuerst an Tante Lina anzu-fangen, und nun ist es halb zehn. Lisbeth spült noch, und ich muss gleich noch Strümpfe stopfen. Der erste Vollalarm war zwischen fünf und halb neun. Eben sind erst die Kinder gebadet. In den letzten drei, vier Tagen gab es keinen Alarm, bei dem nicht näher oder ferner Bomben fielen. Vorgestern nacht und gestern nacht rappelte es lange und erheblich, vorhin war eine mächtige Detonation. Die große Rauchwolke stand in Richtung Dreesen, ich nehme aber an, dass es doch Königswinter ist. Immerhin mussten ausgerechnet unsere Küchenfensterscheiben dran glauben. Wie ist das in der Ecke möglich? Jedenfalls stehen wir jetzt bei Voralarm wieder auf, denn es ist ungemütlich hier geworden. Lisbeth hat eine Bombennacht von gestern auf heute ausgerechnet in Zissendorf mitgemacht.
Die Kinderzimmer sind so hübsch geworden, und ich habe jetzt die eine Angst, sie könnten mir wieder genommen werden. Die Kinder sind so glücklich drin und werden dadurch so ordentlich in ihren Sachen. Lisbeth und ich
wienern den ganzen Tag und finden es dadurch vielleicht noch schöner als andere, die wohl das Abgestoßene überall sehen.
Den Nachmittag habe ich auf dem Balkon gesessen und geflickt. Die Bäume sind wundervoll grün, und alles blüht. Wäre doch Frieden! Helga macht tüchtig Prüfungsarbeiten. Angst hat sie keine.
Eine Woche ist rum, und die Hoffnung, dass Du kommst, rückt näher. Vielleicht ist es nächste Woche schon. Aber heute abend empfinde ich das Leben wieder als durchaus unsichere Sache unter dem Eindruck der vielen Bombenabwürfe in den letzten Tagen. (Nicht in Godesberg, aber rundum.) Wenn es so ist wie in den letzten Tagen, denkt man immer, dass es doch für Mutter gut ist, dass sie es überstanden hat. Das wäre kein Leben für sie. Dazu gehören gesunde Herzen.
Ich kann mich noch nicht von dem Schrecken vorhin lösen, und deshalb bin ich auch nicht fähig, Dir einen 'schönen' Brief, zu schreiben, geschweige denn heute abend einen anderen zu beantworten. Außerdem müssen wir nachholen, was durch die Länge des Alarms versäumt wurde.
Gute Nacht, lieber Mann, ich werde nachher, wenn ich wieder Zeit habe, an Dich denken.
Deine Lotti