Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 28. April 1944
den 28.4.44
Mein lieber Mann!
Das Ergebnis des Telefongespräches heute war ja mager und mickrig. Erstens dauerte es eine halbe Stunde, bis die Verbindung da war, und dann verstand man doch nichts. Ich wenigstens nichts. Im Stillen hatte ich gehofft, Du säßest schon auf der Bahn nach hier. Enttäuschend war für mich, dass Du keinen Termin wegen Deines Kommens angeben konntest. Wenn solch ein Urlaub vor einem steht, lebt man doch drauf zu.
Ich bin also auf einem seelischen Nullpunkt angekommen. Aber gründlich. Vielleicht resultiert es in der Hauptsache aus der übergroßen Müdigkeit: Stelle Dir vor, dass wir, seit Deinem Wegfahren, zwei bis höchstens fünf Stunden nachts geschlafen haben. Jede Nacht haben wir Vollalarm. Alles gähnt herzbrechend: Die Verkäuferinnen in den Läden, Gisela Möckel hinter ihren Büchern, Dr. Gesler und alles. Und dabei die Aussicht, heute abend wieder rauszumüssen. Ich bin jetzt zweimal hintereinander um neun ins Bett gegangen, Siefkens schon um sieben Uhr, bloß um einmal auszuschlafen. Und morgens geht die Sirene
dann um acht Uhr wieder. Ich bin noch nicht wieder beim Grab gewesen. Zweimal machte ich mich vom Haushalt frei, und dann hing ich unterwegs fest. Aber Film und Bekannte besuchen ist ebenso unmöglich. Du siehst also, Du holst mich aus einem seelischen Loch raus, wenn Du kommst.
Der Angriff vorige Woche auf Köln ist kein sogenannter Terrorangriff gewesen, denn es wurde im Drahtfunk nur von Flugzeugen aus verschiedenen Richtungen gesprochen, nicht von Kampfverbänden, Und doch stand heute in der Zeitung, dass gestern die über 500 Toten dieses Angriffs beerdigt wurden. In der Hauptsache wurden Minen geworfen. Unsere Usch kam sehr vergnügt mit Trude auf dem Umweg Düren-Euskirchen hier an, weil über Köln kein Zug fuhr. Ich war froh, als ich sie wiederhatte.
Schade, dass es so kalt geworden ist. Alles ist so wenig dazu angetan, Schwung zu geben. Dazu der Leerlauf mit dem Stopfkorb.
Harald, wenn Du kommst, schließen wir uns in unser Zimmer ein und lassen die Welt draußen. Danach sehne ich mich augenblicklich als dem Einzigen, was die Zukunft Lohnendes bietet. Und wann schreibst Du??
Deine Lotti