Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 30. April 1944
den 30.4.44
Mein guter Mann!
Der Abwechslung halber muss ich Dich einmal anders anreden. Es ist fast elf Uhr, und wir sitzen noch im Wohnzimmer. Lisbeth liest ´Immensee´, die Mu Fontane, und ich schreibe. Es liegt wohl daran, dass wir zwei Nächte ohne Alarm geschlafen haben, schon sind wir wieder obenauf.
Und Du schreibst überhaupt nicht. Sehr nett ist das nicht von Dir. Oder kommst Du so bald, dass Briefeschreiben sich nicht lohnt? Vierzehn Tage bist Du fort, und nur der Brief, der die Ankunft anzeigt, ist das nicht ein bisschen wenig? Oder soll ich mich rächen und auch nicht schreiben? Schreibt W. Lichtschlag auch so wenig an seine Frau? Gehe in Dich.
Eben war ich bei Frau Sprock, die Mitte des Mai ihr viertes Kind erwartet. Sonst muss ich zu Ilse Holtgreve, dass sie nicht so allein ist.
Morgen, am Tag der Arbeit, haben wir uns recht viel vorgenommen, nur müsste das Wetter wärmer sein. Aber die Bäume stehen überall in vollem, dichtem Laub. In acht Tagen wird wohl auch der Flieder blühen. Und Donnerstag hat unser Jürgen seinen vierten Geburtstag. Also ist es mit den Kaffeetrinken auf der Godesburg nichts.
Ich muss nun sehen, dass auf Mutters Grab die Kränze fortgeräumt werden und etwas gepflanzt wird. Vielleicht hat das aber auch Zeit, bis Du kommst. Ich war Samstag mit Ursel und Jürgen oben. Hinterher haben wir uns das alte Gemäuer besehen. Heute habe ich dann Heidi mit Tulpen und in Begleitung von Klaus und Ursel raufgeschickt,
Heidi ist dann mit den beiden um die Burg gegangen und hat ihnen einen Vortrag gehalten über Konrad von Hochstaden und die diversen Kurfürsten und Erzbischöfe. Jürgen war auch dabei. Und heute abend haben wir, weil Sonntag war, Schinkenbutterbrot und Rhabarbergrütze gegessen. Trotzdem habe ich jetzt um elf wieder Hunger.
Und morgen können wir singen: Der Mai ist gekommen. Wo sind Maiansingen und Maikneipe geblieben? Kommt wohl wieder so eine schöne Zeit? Aber vielleicht ist jede Zeit unbeschwert und schön, für den, der jung ist. Und deshalb haben es vielleicht auch unsere Kinder gut. So wie vor 1914 war und wird’s doch nie wieder.
1000 Küsse
Deine Lotti