Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 13. Mai 1944
den 13.5.44
Mein lieber Mann!
Trotzdem es gleich elf Uhr ist, will ich Dir doch noch schreiben. Es ist wie verhext, und ich weiß nicht, woran es liegt, Wir, d.h., Lisbeth und ich, werden immer später fertig. Eben ist sie erst mit Bügeln und Spülen fertig geworden, sie putzt den Tag über wie eine Irre, und ich kann mir den Mund fusselig reden, sie wird immer gründlicher mit der Arbeit, geplagt von der fixen Idee, bei uns würde es immer dreckiger. Viermal in der Woche schruppt sie allein Flur und die Vorgartensteine. Frau Siefken, seit sie allein ist, überhaupt nicht mehr. Die Küche zweimal in der Woche auf den Knien mit der Wurzelbürste!! usw. Ich habe Räume stillgelegt, das hindert aber nicht, dass sie sie jeden Tag vornimmt.
Alles Predigen im Guten und im Bösen nützt nichts. Nun müssen wir Montag, weil der Wäschemann nicht gekommen ist, die große Wäsche machen, unter anderem: 11 Betttücher, 15 Frottiertücher, 14 Kopfkissen 6 Bezüge usw. ins Endlose. Das gibt einen Waschkessel!
Und dabei steht mir ausgerechnet in der Salvinischen Verwaltung eine Schweinearbeit bevor.
Heute kam wieder ein Brief. Vielen Dank. Und deshalb schreibe ich auch sofort.
Im Wehrmachtsbericht wird heute die kommende Invasion zum ersten Mal offiziell erwähnt. Herzlichen Glückwunsch. Nun müssen wir abwarten. Ob Du und das Versicherungsgeld noch vorher eintreffen, interessiert mein Inneres sehr. Beides brauche ich.
Ich war gestern abend bei Frau Sprock. Sie hat das vierte Mädchen bekommen, nebenbei ein liebes, kräftiges Ding, aber eben wieder ein Mädchen. Ihr, und mir auch, ist ja so etwas gleich, aber der Pappi in den Karawanken!
Bei Dreesen werden M.G.-Sitze gebaut. Es wird also ernst mit den Gefangenen. Ilse Düren hatte eine andere Lesart gehört, und dann kriegen wir vielleicht gerade Bomben. Abwarten.
Ursels Geburtstag war ohrenbetäubend. Alle neun Kinder hatten Holzklotschen an!! Es war entsetzlich, und ich vertrage augenblicklich kaum ein Geräusch. Gerade fällt mir ein: Ich erlebe nie, dass Ursel, wie die anderen, sich mal dankbar an mich schmiegt oder sagt, wie gut ich es mit ihr meine. Auch heute hat sie sich nicht für den Geburtstagstisch bedankt, es war, als hätte sie ihn gar nicht bekommen brauchen. Ihre Liebe äußert sich anders: Beim Baden tobt sie bei jedem Annäherungsversuch Lisbeths oder der Mu. Ich muss es tun, und genau so ist es mit dem Ausziehen. Mich nur lässt sie an sich ran. Eine dolle Kröte.
Nun höre ich aber auf. Ich will schlafen, und meine Schrift sieht reichlich nervös aus. Meinen Hals merke ich auch wieder sehr, nach langer Zeit. Unangenehm.
1000 liebe Küsse, Deine Lotti