Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 11. Juni 1944

den 11.6.44

Heute, am Sonntag, bekam ich zwei Briefe, geschrieben am 6., an meinem Geburtstag. Nun konnte ich mir einen Vers auf das kurze Zettelchen vom 8. machen. Ich bin nur gespannt, in welcher Weise sich Dein weiteres Schicksal entwickeln wird, ob Du dort bleibst oder auch fortkommst.

Es regnet so sehr, dass ich die Schreibtischlampe anknipsen muss, um 12 Uhr mittags. Trostlos. Lisbeth ist weg, und ich muss mich dem Haushalt und den Kindern widmen. Wenn bloß alle besser hören könnten. Gestern kam ich dazu, wie Tante Hanna vor versammeltem Kindergarten sagte, wenn alle nicht besser hören würden, müsste sie mit ihnen zu Dr. Jäger gehen, damit der ihnen die Öhrchen ausbohrt. Es machte trotzdem nicht viel Eindruck.

Wir heizen Anthrazit, so kalt ist es.

Schultzens schrieben auch heute. Thea hilft mit, in Selbsthilfe einen Stollen in den Berg bauen und muss Sandkarren und Steine schleppen. Dass wir Schwager Ernst in Großaufnahme in der Wochenschau

sahen, erzählte ich Dir ja am Telefon. Im übrigen war der Film Frau für drei Tage, sehr nett.

Unser Barometer klettert. Walte es Gott, denn langsam wird man trübsinnig. Schon wegen der ewig dreckigen Stiefel, die die Kinder mitbringen. Total überkrustet.

Wir haben einige alarmfreie Nächte und Tage hinter uns seit der Invasion. - Nun ist der Sonntag bald wieder rum. Vielleicht wird das Wetter besser, denn wir konnten auf dem kleinen Balkon Kaffee trinken.

Liebster, schreib, und wenn es auch nur kurze Notizen sind. Wenn es geht, täglich, damit ich weiß, woran ich bin. Ungewissheit ist in diesem Fall wenig angenehm.

Klaus und Heinzel singen schallend im Jungenszimmer und bauen dazu mit dem Stabilo-Baukasten. Für die ist der Nachmittag uneingeschränkt schön. - Vorgestern, als Lisbeth den Jürgen zum Abend wusch, sagte er in ehrlicher Empörung: "Wo bleibt denn das Abendessen? Einen Ärger hat man damit jedes Mal...“

Ilse Düren ist mit Oma und Ur-Oma in Oberstdorf. Der Schwiegersohn von Biederbicks ist bei Cherbourg.

Jetzt, im Juni !!, wird Trockengemüse ausgegeben und Gefrierobst. Ich habe vorige Woche für 10,- Mk. geholt. Das war eine Mahlzeit, gefrorener Blumenkohl und Obst zum Pudding für ein Mal. Dafür hätte ich im Frieden 40 Pfund Stachelbeeren zum Einmachen bekommen. Und ich nehme es trotzdem, denn sonst habe ich gar nichts. Diesen Monat sind pro Person zwei Pfund Wirsing und zwei Kopf Salat aufgerufen.

Viele Küsse. Deine Lotti