Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 20. Juni 1944
Den 20.6.44
So lange ist es nun geworden, ehe an diesem Brief weiter geschrieben wird. Teils, weil ich nicht richtig wusste, ob nicht eine andere Anschrift kam (Briefe an Dich postlagernd sind wieder zurückgekommen) und in der Hauptsache, weil ich dachte, Du kämest wirklich. Aber die Hoffnung war mir durch den Telefonanruf gestern und Deinen Brief heute genommen worden. Mit der Enttäuschung müssen wir ja beide fertig werden. Immerhin kann ja so eine Sperre nicht ewig dauern und dann gehörst Du vielleicht unter die Ersten, die dran kommen.
Den ersten schönen Tag heute haben wir benutzt, um mit den Kindern nach Heisterbach zu gehen. Es war reizend in jeder Beziehung, Sommerlandschaft und Kinder. Blos traten sie nachher mit nackten Füßen im Bassin und Ursel und Jürgen rutschten auch prompt aus und fielen auf Pö und Rücken und so völlig durchweicht mussten sie den Heimweg antreten.
Lisbeth geht nun morgen in Urlaub. Ich werde dann sehr viel Arbeit haben aber das Licht des Urlaubs steht vor mir, immer noch, und steht die Invasion für mich nicht im Vordergrund.
Und morgen ist der längste Tag. Und wir haben erst einmal auf den Kopf ein halbes Pfund Kirschen gehabt. Und im ganzen Monat Juni pro Person 1000 gr Kohlgemüse, das waren bei 16 Pfund 4 Mahlzeiten. Wir sind so gemüse- und obsthungrig. Bei den Bauern bekommt man so etwas nur, wenn man Waren dagegen gibt. Frau Schubert sollte für Spargel fürs Pfund 2.- zahlen und 2 Pfund Zucker. Frau Durholt wurde für einen Zentner Kartoffeln 100.- abverlangt und dazu gab sie noch Zigaretten. Kirschen und Erdbeeren kann man in Lannesdorf haben, aber eben nur gegen Zigaretten oder Tischdecken und derartiges.
Nun hat es über 4 Wochen geregnet und Mutters Grab ist nun auch eingefallen. Bis jetzt habe ich noch niemand bekommen, der es macht. Beitin verspricht es gros, tut es aber nicht. Ich hatte schon gedacht, wenn Du gekommen wärest, hätten die es vielleicht gemacht. Bepflanzen wollen wir es schon, aber die Erde erst in die richtige Form bringen, können wir nicht. Ich habe damals mit Lisbeth gearbeitet und habe die Kränze weggeräumt und etwas Ordnung gemacht. So etwas macht heute der Friedhofsgärtner auch nicht mehr.
So haben wir bis jetzt keine Blumen in einer Vase hingestellt. Nun hatte damals auch der Wolkenbruch am Pfingstdienstag wüst gehaust. Hier unten war es so, dass viele Keller halbmetertief unter Wasser standen. Siefkens Keller auch und sie schöpften noch am nächsten Tag. Wir sind ja an einen anderen Kanal angeschlossen. Dies war der Kanal an der Ecke Schillerstraße der verstopft war und im Handumdrehen war ein großer See entstanden und alle Kinder spraddelten bis weit über die Knie darin herum. Die Fußgänger mussten oben auf den Gartenmäuerchen weiterklettern.
Ich trage seit einigen Tagen zur Abwechslung die Haare ganz hoch. Damit Du Dir kein falsches Bild von mir machst. Und nun gehe ich zu Bett, und bis zum Einschlafen werde ich an Dich denken. Es piekt doch in meinem Herzen, dass Du nicht gekommen bist.
Viele liebe Küsse Deine Lotti.