Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 15. Juli 1944

den 15. 7.44

Hurra, heute kamen die zwei ersten Briefe. Ich hatte mich darauf eingestellt, dass ich drei bis vier Wochen warten müsste. Und dort bist Du auch schon? Weißt Du, ich konnte manchmal nachts nicht schlafen aus Sorge um Dich. Man denkt sich alles so anders und vielleicht schlimmer, als es ist, solange man ganz in Dunklen tappt. Z.B. war die Ungewissheit vor der Invasion schlimmer und magendrückender als die Wirklichkeit. Und so ist es auch hier. Ich sah Dich sozusagen umringt von Terroristen und behagelt von Bomben, so, als ob es nichts anderes gäbe.

Eben habe ich die Kinder gebadet und ihnen dann am Bett Lieder vorgesungen aus den Wandervogelbüchern und Gedichte vorgelesen, die sie auch schon verstehen von Eichendorff und Claudius und Storm usw. Sie waren unersättlich und hatten große Freude daran.

Ich bin im übrigen zu sehr abgelenkt von der richtigen Freude und intensiven Beschäftigung mit dem Haushalt durch die Gedanken und Sorgen um Dich und die Gedanken an die Ostfront. Obgleich es ja etwas weniger rasch dort geht, gottseidank. Nachts träume ich oft, die Russen kämen. Schrecklich.

16.7.44

Bist Du an der Loire vorbeigefahren? Sie soll so schön sein mit ihren Wiesen und alten Schlössern. Wie ist es landschaftlich, wo Du bist? Ist es noch Normandie? Welches ist der Schriftsteller der Gegend? Ich möchte jetzt gerne über Frankreich und das Leben dort lesen. Es ist mir dann, als wäre ich bei Dir.

den 18.7.44

Ich denke so viel an Dich, dass ich jetzt nachts immer von Dir träume. Tagsüber bin ich oft eine ganze Zeit in Gedanken bei Dir. Oft sitze ich

zur Zeit des Nachrichtendienstes mit der Karte von Frankreich auf den Knien und sehe auf die Stadt Le Mans.

Omis Grab ist noch immer nicht gemacht. Ich hatte schon einmal den Gedanken erwogen, Beitin ein halbes Pfund von unserer Butter anzubieten, nur damit es gemacht wird. Dann klappt es nämlich. Aber es wäre wohl nicht in Omis Sinn, wenn die Kinder dafür zwei Tage ohne Fett dasäßen. Was meinst Du? Aber wer weiß auch, wie lange wir noch unser Viertelpfund in der Woche haben?

Auf der neuen Fettkarte stehen nicht mehr 125 Gr. Butter, sondern 125 gr A, B, C und D. Darunter steht: Die auf die Großabschnitte entfallenden Erzeugnisse! werden wöchentlich durch Presse und Aushang in den Geschäften bekanntgegeben. Auf den Kinderkarten steht noch auf den Abschnitten 125 Gr. Butter, größer gedruckt

wie sonst. Ich glaube nun, dass es auf das ABC öfters etwas anderes als Butter gibt. Außerdem ist man nicht mehr eingetragen, sondern kann das Fett holen, wo man will oder vielleicht besser, wo man es kriegt.

Bei diesen Aussichten gibt man lieber keine Butter für die Grabberichtigung ab. Aber Fräulein Pfeil erzählte mir z.B., dass sie seit Monaten bei Waasem quält, er solle ihr das elektrische Licht machen, und es ist nutzlos, und Frau Dennert hat jetzt Waasems Eier von der Zuteilung gebracht und bekam es sofort. Und so könnte ich bis ins Unendliche erzählen.

Wir sehen kein Obst. Ich habe heute für 10.- Mk. vier Pakete gefrorenes Tomatenmark bei Biederbick erstanden und eingeweckt. Ein teures Vergnügen, aber ich muss nehmen, was sich bietet. An frischen Sachen gibt es wahlweise auf eine Nummer Tomaten oder Gurken oder Blumenkohl. Und das ist nicht viel und langt zum Einmachen gar nicht.

Es ist aber so: Hat man Tomaten geholt, kriegt man weder Blumenkohl noch Gurken in diesem Sommer. Seitdem Anfang Mai 1/2 Pfund Kirschen und 1/2 Pfund Erdbeeren aufgerufen wurden, hat es noch kein Obst wieder gegeben. Und wir sehen neidisch Arndts zu, die ihren großen Kirschbaum plündern. Ich habe Herrn Arndt gebeten, mir nur ein paar Pfund zu verkaufen, aber er hat es, angeblich weil er selber nicht genug hat, nicht getan. Und abends kommen die Nachbarn und gehen mit gefüllten Tüten (gegen irgendwas anderes), und bei Siefkens werden Wannen voll Obst reingetragen. Aber Siefkens sitzen an der Quelle, weil er Wirtschaftsleiter vom Päda ist, und sie haben noch alles.

Vielleicht ist es falsch, dass ich mir diesen Ärger von der Seele geschrieben habe, und Du musst nicht denken, dass wir hier mickrig sind. Nur Obst hätten wir gerne. Aber mir liegt das Handeln auch nicht,

und irgendwie ist es auch entwürdigend. Nur mache ich mir vor diesem Winter etwas Sorge, bisher tat ich es ja nicht. Aber dieser wird der sechste Kriegswinter. (…)

Nebenbei: kann man nach dort durch Feldpostanweisung Geld schicken? Vielleicht, dass Du noch etwas auftreibst? Hat Pischl seiner Frau geschrieben, dass sie das Geld schickt?

Ich will gleich baden und morgen zum Friseur, damit er meine neue Frisur in Form legt. Die Kleinen haben morgen nachmittag Sommerfest. Ein großes Ereignis. Ich lese augenblicklich: 'Gott in Frankreich' von Sieburg. Sehr gut. Es interessiert mich, mehr über das Land zu wissen, in dem Du bist.

Viele liebe Küsse
Deine Lotti