Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 7. September 1944
und nicht erst acht Tage.
den 7.9.44
Stell Dir vor, Klaus ist heute morgen um halb neun in die Schule gegangen und heute abend um sieben Uhr nach Hause gekommen. Ich hatte eine furchtbare Angst und habe wieder die Polizei angerufen, die hat bloß gelacht und gesagt: "Dä Jung wird bei de Soldaten auf de Landstroß sein, da sinn se zu Hunderten.“ Und so war es auch. Er hat in seiner Begeisterung Essen und Trinken vergessen. Die Soldaten haben sie auf ihren Kübelwagen streckenweise mitgenommen, haben Bonbons unter sie verteilt usw. Und dazu kommen sie alle von der Front, sind entsprechend dreckig und können viel erzählen. Ich bin überzeugt, trotz der Wichse wird er es in den nächsten Tagen zum dritten Mal machen. Die Verlockung ist zu groß für ihn, und er denkt nur noch an Soldaten.
Zu seiner großen Freude hatten sich heute morgen auf der Pädawiese Nachrichter mit ihren Funkgeräten aufgebaut, die dann aber, als sie ihre Tätigkeit verrichtet hatten, wieder verschwanden. Der eine drückte sich aus: „Unsere Einheit steht noch im Kampf in Frankreich, und wir tun auch weiter. Stiften gegangen ist bloß alles, was hundert Kilometer hinter der Front lag. Wir hatten furchtbare Verluste durch die Luftüberlegenheit.“
Heute abend haben wir hier zum Abendessen nur Pudding gegessen. Das Päda hatte gestern das Abendessen für die 450 Flüchtlinge gemacht, die dann vorher abtransportiert wurden. Nun standen die Schüsseln in allen Häusern. Schwingers stifteten uns allein fünf Schüsseln, Gudrun Klausen mit Fräulein Hellweg kam und brachte, und alle Häuser, die ja keine Jungens mehr haben, verteilen nun die Köstlichkeit an alles, was umher wohnt.
Der 'Westdeutsche' brachte heute einen Aufsatz: ´Das Reich schaut auf uns!´ Darin heißt es:
'Jetzt ist es an der Zeit zu zeigen, dass wir würdig sind, Söhne und Töchter der schon oft vom Schicksal für das Reich erprobten rheinischen Heimat zu sein. Der Feind soll wissen, dass die Heimat mit gleicher Entschlossenheit jeden Fußbreit Erde verteidigt, wie es der Soldat in den schweren Kämpfen in Belgien und Frankreich tut. Es könnte für den Angreifer auf deutschem Boden kein Dorf und kein Haus, kein Feld und keine Höhe geben, von wo aus ihm nicht tausendfacher Widerstand entgegenträte. Kein deutscher Halm soll den Feind nähren, kein deutscher Mund ihm Auskunft geben, keine deutsche Hand ihm Hilfe leisten, Jeden Steg soll er zerstört, jede Straße gesperrt vorfinden, nichts als Tod, Vernichtung und Hass wird ihm entgegentreten, schaudernd soll er verbluten auf jedem Meter deutschen Bodens, der uns gehört und den er rauben will. .... Und so soll jede rheinische Stadt und jedes rheinische Dorf ein Cezembre sein, in dem die Herzen einen Willen schlagen: Alles für Deutschland!..... '
Verstehst Du jetzt die Welt, die zwischen Deinem Brief und uns hier liegt? Das heißt, heute habe ich mich schon wieder etwas beruhigt und habe eine wunderschöne Jacke für Helga gestrickt. Morgen will ich für Klaus einen Pullover aus Omis brauner Jacke machen, aus Omi Endemanns.
Viele liebe Küsse. Deine Lotti