Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 8. September 1944
den 8.9.44
Mein lieber Mann!
Ich konnte mir denken, dass Du keinen Wehrmachtbericht gehört hast, Deinen idyllischen Briefen nach, aber nun bist Du ja wohl wieder im Bilde und wirst es wohl auch bleiben. Ich schicke diesen Brief durch die Post, denn meine anderen Briefe scheinen ja noch nicht angekommen zu sein.
Ich schrieb Dir gestern schon, dass wir hier näher an der Front sind, als Du es in Le Mans warst. Der Wehrmachtbericht spricht von Lüttich, also müssen wir uns auf allerlei gefasst machen. Der Vorgeschmack besteht aus Tieffliegern, die den ganzen Tag zugange sind. Seit einer Stunde meldet der Drahtfunk starke Tieffliegertätigkeit im Raume Bonn, und ich kann Dir sagen, da war auch alles dran, Bordwaffen, Bordkanonen, Bomben usw. Aber alles weiter weg, nicht .in Godesberg, sondern es muss doch wohl erst Bonn gewesen sein.
Heute morgen hat Dollendorf viel abbekommen durch einen Kampfverband, und wir hier nur einen Phosphorkanister, ausgerechnet wieder Ecke Sedan-Römerstraße, und dann einen ins Hotel Dreesen, der aber schnell gelöscht wurde. Tieffliegertätigkeit ist den ganzen Tag, es gibt deshalb auch nur noch Voralarm.
Die Landstraßen sind voller LKWs, rheinauf, rheinab, die sich zu ihren Sammelstellen durchfinden. Alles kommt von der Front.
Vorgestern hatten wir hier im Päda, dessen Schüler nach Hause geschickt worden sind, 450 Flüchtlinge aus Malmedy, die dann gestern weiter transportiert wurden. In der Oberschule lagen auch so viele. Die Landstraßen in der Eifel sollen voller Wagen voller Flüchtender sein, immer beschossen von Tieffliegern.
Alles ist weg zum Schippen seit Dienstag. Die HJ bis zum Jahrgang 31!! ist aufgerufen.
Was ich hier wiederhole, ist alles aus den Briefen, die Du wohl noch nicht bekommen hast. Deshalb kamen mir Deine Briefe auch so idyllisch vor und trafen uns hier in einer ganz anderen Welt an. Hier gibt es nur noch ein Thema: Die nahende Front, was verwahrt man sich auf seine Marken auf, und soll man gehen oder nicht. Ich habe noch keinen getroffen, der weg will. Jeder fürchtet sich vor dem Elend auf den Landstraßen, und da wollen wir es lieber hier drauf ankommen lassen und in die Keller geben. Aber vielleicht kommt die 'Neue Waffe' doch noch an der Grenze.
Es gibt hier ältere Damen wie Fräulein Pfeil, die fest an den Westwall glauben.
Die Kinder sind guter Dinge, und ich kann ihnen doch nicht klarmachen, dass sie jetzt bei Voralarm ins Haus zu kommen haben. Wir haben seit zwei Stunden Voralarm, und Du hättest den Bordwaffenbeschuss und die Bomben hören sollen. Vollalarm wird nur bei richtigen Kampfverbänden gegeben.
Wenn wir weg sollten, nach Nassenerfurt können wir nicht, Tante Lina hat es endgültig aufgeben müssen, und dort wohnen jetzt fremde Leute. Wenn es sein müsste, möchte ich am liebsten Nach Finsterwalde. Lieber dort in einer Scheune als sonst wo in einer Turnhalle, denn man ist als Flüchtling eben doch nur geduldet.
Herr Arndt will uns unter Umständen für die Tage in seinen Keller nehmen
Ich denke, Du wirst doch jetzt jeden Tag versuchen, den Wehrmachtbericht zu erfahren, und wirst in Gedanken bei uns sein. Angst habe ich noch nicht, bloß die Kinder sind nicht zu bändigen, denn sie spüren auch, dass was in der Luft liegt. Klaus hat mir in den letzten Tagen viel Sorge gemacht, er erschien erst abends um neun und dann ging er morgens um halb neuen in die Schule und kam erst abends um sieben wieder. Alles wegen der Soldaten, die die Jungens auf ihren Panzern und Kübelwagen streckenweise mitnehmen und ihnen von der Front erzählen können. Auf der Pädawiese hatten sich gestern morgen Nachrichter niedergelassen, bauten ihre Sendergeräte auf und zogen dann hinterher nach verrichteter Arbeit wieder ab. Das war was für Klaus und Jürgen.
Bitte schreibe, welchen Brief Du zuerst bekommen hast. Und dann schreibe, solange es noch geht, denn man weiß ja nicht, was die nächste Zeit bringt.
Heute abend kommen Toni Hillenbrand, Fräulein Mallasch, Frau Tenter und Frau Schwinger zu mir, aber das Thema kenne ich schon. Das ist aber jetzt auch schwer, sich davon zu lösen, eigentlich gar nicht möglich, denn die nahende Front wird für uns sozusagen eine Lebensfrage.
Wann werden wir uns wiedersehen? Sollte es wirklich so weit kommen, wie ich fürchte, dann musst Du Weihnachten zu Schultzens oder zu Meyers gehen… Dass auch hier Kampfgebiet wird, muss erwogen werden, denn der 'Westdeutsche' schreibt in einem Artikel, dass auf deutschem Boden kein Dorf, kein Haus, kein Weg und keine Brücke sein soll, die der Feind unzerstört vorfindet und dass er jeden Meter deutschen Bodens mit Strömen von Blut bezahlen soll. Jedes rheinische Dorf und jede rheinische Stadt soll ein Cezembre werden!! (Das war der Marinestützpunkt)
Vor fünf Minuten wurde entwarnt, nun setzt erneut Warnung ein. Das geht jetzt den ganzen Tag so. Und immer sind es Jagdverbände.
Harald, ist es nicht schön, dass wir die Zeit in Dortmund hatten? Ich werde immer daran denken.
Wenn dieser Brief stilistisch etwas hastig geschrieben ist, so schiebe es auf die innere Hast, die ich jetzt habe, und die viele Arbeit, die dazukommt. Anrufen kann ich Dich nicht, der Fernruf ist für eine Woche völlig gesperrt.
Schreibe oft, so wie Du kannst. Darüber freue ich mich am meisten und habe dann doch wenigstens etwas das Gefühl, dass Du bei mir bist. Ich schreibe auch jeden Tag.
Deine Lotti
Von Hansi haben wir nur gehört, dass die Geburt schnell und leicht war, Kommen wird sie jetzt wohl nicht.
Die Malmedyer sagten, dass ihnen eine Stunde vor Abgang des Zuges gesagt wurde, wer wollte, könne mitfahren. Später könne die Partei die Verantwortung nicht mehr übernehmen.