Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 15. September 1944
Viele liebe Grüße auch von deiner Helga
Mein lieber Mann! den 15.9.44
Ich gebe diesen Brief Fräulein Mallasch aus Bremen mit, die ihn dort in den Kasten wirft. Wer weiß, ob Du meine nächsten Briefe noch bekommst, denn an ein Aufhalten der Amerikaner am Westwall glaube ich nicht. Unsere Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt über unser ungewisses Schicksal. Bei einem Soldaten, der in die Schlacht geht, fällt wenigstens die Verantwortung weg, die für ihn die Führung hat. Aber wir trauern mit den Kindern. Da ist das Haus, die ungewisse Zukunft, und keiner weiß, woran man recht tut. Ich denke viel an Dich, und das und unsere schönen Erinnerungen sind mir ein Trost. Die Kinder, so lieb ich sie habe, sind augenblicklich kaum zu ertragen, sie haben von unserer Not keine Ahnung und schießen andererseits ins Kraut. Aber es ist in allen Familien so.
Heute sind alle Gefangenen und Fremdarbeiter wegtrans-
portiert worden, auch die beiden Pädafranzosen. Auf keinem linksrheinischen Bauernhof ist mehr ein fremder Arbeiter. Wer buddelt nun unsere Winterkartoffeln aus?
Eine Aachenerin erzählte, dass die Kolonne von Aachen bis Köln zu Fuß marschieren musste.
Am Siebengebirge wird schon Artillerie in Stellung gebracht. Heute nacht wurden wir durch einen Knall und langanhaltendes Rollen erschreckt. Frau Siefgen sagte, sie habe aus der Richtung Südwesten ein rotglühendes Etwas angeflogen kommen sehen, das dann im Bogen, aber vor Godesberg, niederging. War das wohl ein Geschoss? Oder eine Rakete?
Man spricht schon davon, dass sie in der Eifel sind.
Ich habe nun Fett und Nährmittel für 4 Wochen im Hause. Was dann wird, weiß der Himmel.
Augenblicklich sitze ich auf dem kleinen Balkon am Kinderzimmer in der Sonne, aber immer bereit, in Deckung zu gehen, wenn Tiefflieger kommen. Sie kommen jetzt naturgemäß
früher als der Alarm.
Und vor einem Jahr war die schöne Hessenreise. Und in einem Jahr?
Ich weiß nun nicht, ob Du Sorgen um uns hast oder ob die Lage sich in Finsterwalde harmloser ansieht, als sie ist. Du schreibst von Euren vielen Flugzeugen. Hier ist dafür kein Jäger zu sehen, und die Soldaten von der Front sagten, dass sie ohne Schutz dem Bombardement ausgeliefert gewesen seien. Ich nehme überhaupt an, dass in den nächsten Tagen ein Bombardement losgeht, das sich gewaschen hat, denn laut W.B. stellen die Amerikaner hier an der Grenze ungeheure Menschen-und Materialmengen auf, um einen gewaltigen Durchbruch zu machen. Südlich Aachen wird laut 2-Uhr-Nachrichtendienst gekämpft. Es kann nun noch einige Tage hier gut gehen, es kann auch sehr schnell kommen.
Ich wollte Dir so viel Liebes sagen und rede nur von dem, was mich erfüllt. Ob wir lebendig durchkommen?
Ich weiß es nicht, aber meine Gedanken sind immer bei Dir.
Unsere Lessingstraße liegt im Mittagssonnenschein friedlich wie immer da. Wir wollen auch auf dem Balkon Kaffee trinken. Heute abend werden wir wie immer die Kinder baden, und dann ist wieder ein Tag rum.
Dass du so weit fort bist. Aber sogar die bis jetzt verschont Gebliebenen müssen auf ihre Männer verzichten. Dr. Schwinger schippt bei Jülich. Heute sind einige Pädajungens nach Hause gekommen, ausgerissen vor dem Luft-und Artilleriebombardements. Herr Strenger war in der Eifel und musste 20 km tippeln, ehe er eine Bahn traf, die noch fuhr.
Jürgen kehrt die Straße mit einem großen Zweig. Ursel spielt mit Brigitte in der Sonne, und Helga liest. Es ist wie bisher, aber erscheint wie ein Traumleben auf dem Hintergrund, der sich heranschiebt. Und immer wieder die Frage nach der Zukunft, auch nach der materiellen. Denn dass die Amerikaner bei Aachen aufgehalten werden, daran glaube ich nicht.
Ich habe Dich lieb und küsse Dich innig und herzlich.
Deine Lotti