Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 17. September 1944

den 17.9.44

Mein lieber Mann!

Ich sitze auf der Couch, habe mein Sonntagessen hinter mir, erheblich gestört durch ungezogene Kinder und Tiefflieger, wegen deren wir in den Hausflur retirierten (ich sehe ja doch kommen, dass ich im Notfall zugunsten der Kinder dran glauben muss, denn Jürgen und Ursel wollten vom Esstisch nicht fort, umklammerten Gabel und Tisch mit aller Macht, und ich plagte mich damit, sie loszueisen, bis die Schießerei beinahe vorbei war. Dabei sah ich aus dem Fenster, wie ein Personenauto mit zwei Offizieren auf der Straße anhielt und die beiden im Hechtsatz raus und in Deckung gingen. Vor Tisch mussten wir Jürgen bei Beschuss reinholen, und der schrie immer: "Das ist ja V1, das tut mir nichts.“

Eben kommen wieder 24 Jäger hierüber. Alarm gibt es immer hinterher, weil sie ja nicht mehr rechtzeitig gemeldet werden können.

Ich habe als Schreibblock die Karte vom Rheinland auf den Knien Ich nehme an, der Feind wird durchstoßen nach Köln und weiter, um mit der Armee von Holland her das Industriegebiet einzu-

kreisen und gleichseitig stoßen sie von Trier her die Mosel herauf und kesseln das Gebiet zwischen Köln und Koblenz ein. So wird es wohl kommen. Kein Mensch glaubt mehr daran, dass sie noch aufgehalten werden. Die Ungewissheit besteht für uns nur darin, ob wir gezwungen werden zu gehen oder bleiben können.

Die Bauern nehmen keine Kartoffeln aus, weil sie sagen, sie täten es ja doch nur für die Amerikaner. Heute gehe ich zu Hüllens und bringe die Einkellerscheine. 16 Zentner sind mir vorerst für die Familie bewilligt worden. Wie es nach der Besetzung wird, weiß keiner. Auf jeden Fall wird die Besatzungsarmee erst mal Fleisch und Kartoffeln für sich requirieren. Wir werden wohl hungern müssen diesen Winter. Aber das ist ja vorauszusehen. Ob Frau Lichtschlag jetzt schon geht? Im Industriegebiet wird ja wohl heftiger gekämpft werden.

Der Nachrichtendienst spricht von südöstlich St. Vith. Die Leute sagen, es sei bei Prüm in der Eifel. Das wurde aber schon Mitte der Woche erzählt. Südöstlich St. Vith liegt die Schneifel. Östlich Eupen und Malmedy ist ein

weiter Begriff. Das ist alles schon in der Eifel, bei Rötgen und Büllingen, also alles am, wenn nicht hinter dem Westwall. Du musst bedenken, dass der Wehrmachtbericht nur immer einiges heraushebt und manches verschweigt, was wir hier in der Nähe schon immer wissen. Man erfährt es ja auch von den Flüchtlingen, z.B. dass Trier unter starkem Beschuss steht. Heute Nacht hielt das Artilleriefeuer von der Front die ganze Nacht durch an.

Ich denke jetzt oft an Deine Mutter. Wie gut ist es doch, dass ihr diese Schrecken erspart geblieben sind, ebenso wie Fräulein Hunscheidt. Schon allein das Getöse der V 1 wäre doch jedes Mal ein entsetzlicher Schrecken für ihr Herz. Ich habe aber richtige Sehnsucht nach Deiner Mutter, so dass ich heute richtig froh war, als ich Fräulein Wolf sah, weil sie besonders mit ihr zusammenhing. Ich stelle sie mir so oft vor und gäbe was drum, wenn ich sie noch einmal hier hätte.