Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 3. Oktober 1944
den 3.10.44
Mein lieber Mann!
Sieh Dir die Sorgen des Herrn Vogel in diesem beiliegenden Brief im sechsten Kriegsjahr an. Habe ich richtig geantwortet? Ich hätte es ja lieber ganz anders getan mit einem kräftigen Ausdruck dabei, aber vielleicht ahnt er aus diesem Brief, welche Meinung ich über die Angelegenheit habe.
Unser Birnbaum ist übrigens auch eine Landplage für die Nachbarschaft. Er hängt diesmal brechend voll, aber alles so hoch, dass man von keinem Mansardenfenster aus dran kann, auch nicht mit Obstpflücker. Dafür kommen aus dieser Höhe die Früchte gesaust und zermatschen auf unserem, Unverzagts und Siefkens Boden. Vor einigen Nächten kam ein Riesenzweig herunter und hat die Hortensie in Unverzagts Garten plattgewalzt. Diese Birnen haben wir wenigstens geerntet. Vor zwei Jahren stellte mir Herr Siefken einen Gefangenen zur Verfügung, der in diese schwindelnde Höhe kletterte, aber Gefangene haben wir nicht mehr, und ein anderer geht nicht so hoch hinauf. Vor Jahren konnten wir ja von Unverzagt aus ernten, er ist aber mittlerweile immer höher geworden und trägt die Früchte nur in der Krone, und die ragt oben weit über das Mansardenfenster hinaus. Wir müssen ihn doch wegmachen lassen, weil es wirklich ärgerlich ist, die schönen Früchte zu besitzen und nicht dran zu können.
Eben sind Teppiche geworfen worden, anscheinend in Bonn, denn es rappelte enorm. Auch sind Rauchfahnen am Himmel. Köln scheint auch wieder dran gewesen zu sein, denn das letzte, was der Drahtfunk meldete, waren Anflüge von Verbänden auf Köln und. Bonn, und dann schied er sich aus. Und man wird so abgebrüht, dass man noch nicht mal in den Keller geht. Außerdem haben wir jetzt Mittag, und der Alarm hatte schon heute morgen um halb neun eingesetzt, so dass man wirklich nicht mehr darauf achten kann. Die Kinder haben ja wieder Schule, aber nur dem Namen nach, denn im besten Fall kommen sie hin, haben eine Viertelstunde und dann ist es für den Tag aus, denn bis abends dauert das Vergnügen ja an.
Ich habe nochmal mit Honnef wegen des Ofens gesprochen. Er hatte den Ring nicht mehr bekommen (es ist ja ein Jahr her, dass er bestellt war), und dann sagte er, dass diese ganzen Werke völlig zerstört seien und mit ihnen die Modelle, die ja aus Holz sind. Infolgedessen können für diese Öfen keine Teile mehr nachgeliefert werden.
Abends
Die Teppiche waren in Wesseling, in Rheindorf und in Köln.
Stell Dir vor, nachdem ich wochenlang immer vergeblich nach einem Kleid für Heidi gefragt hatte und heute wieder ver-
gebens bei Gallep, kam Herr Gallep drüber zu, fragte, was ich wollte, bedeutete mir, mich in den Nebenraum zu begeben, und brachte mir ein Kleid an, das er aber sofort in meiner Tasche verschwinden ließ und das ich auch nicht an der Kasse zeigen sollte. Ich zuckte zusammen, als ich den Preis las: 29,- Mk., aber ich konnte nach diesen Präliminarien ja nicht wieder zurück, aber mir taten dann auch die acht bis neun Mk. mehr auch nicht leid, denn es ist ein wunderbares, erstklassiges Bleylekleid, an dem Heidi und Ursel noch jahrelang Freude haben werden. Es ist ganz breit gestrickt, man sieht ihm die Qualität an und sieht auch, dass es noch Vorkriegsware ist. Da ich für Kinder ja auf die neue Karte mit ihren wenigen Punkten so betrübend wenig kaufen kann, bin ich jetzt völlig ausgesöhnt und Herrn Gallep dankbar.
Der Wehrmachtbericht vermerkt heute auch die Ankündigung eines neuen großen Angriffes der Amerikaner im Raum Aachen. Dann werden wir in den nächsten Tagen hören: '..... trat der Feind auf breiter Front…...' Die zunehmenden Artillerieduelle hören wir ja zur Genüge.
Hörst Du noch jeden Tag den Wehrmachtsbericht? Es ist schon allein deshalb, weil wir dann jeden Tag wenigstens etwas gemeinsam haben.
Was macht Frau Lichtschlag? Was erzählt Wilhelm Lichtschlag? Wo mag Annemarie Pütz sein? Wölfchen Schauss ist vermisst in Rumänien.
Ich bin froh, dass Du das Paket bekommen hast. Ehrlich gestanden glaubte ich damals wirklich, bis Du es hättest, hätte uns hier der Feind überrannt. Aber ich glaubte es ja nicht allein, denn wenn die Zeitung sogar von einer Schrecksekunde, die alle befiel, und einem Schock sprach, ging es ja allen so. Übrigens, Frau Foegen, die immer am zuversichtlichsten war oder so tat, siedelt morgen mit ihren Kindern auf Wunsch ihres Mannes, der ihr dort Quartier besorgt hat, in das Sauerland über. Herr Foegen war heute mit dem Auto (Adjutant ist er!!!!) hier, um die Koffer und alles Nötige zu holen (offiziell machte er eine Dienstfahrt), und morgen folgen Frau und Kinder wieder mit diesem Auto nach. So zuversichtlich scheinen dann weder er noch sie zu sein.
Heuses haben damals Hansis Silber zusammen mit ihrem durch Ernsts Bruder Willi vergraben lassen, und nun ist er vermisst in Russland, und die anderen wissen nicht, wo es vergraben ist. Du hast ja den Brief bekommen, in dem ich Dir von dem Versteck unseres Silbers schrieb? Aber es scheint, als ob Du nicht den bekommen hast, in dem ich Dir von dem Schrecken erzählte, den uns V 1 damals in den aufgeregten Tagen einjagte, als es über uns ahnungslose Menschlein mit Donnergepolter durch die Luft sauste.
Könntest Du doch kommen! Übrigens war Karl Vogel zwei Tage hier. Er hatte sich aus Frankreich durchgeschlagen, wurde dann in Düren wieder aufgestellt und ist jetzt nach Holland gekommen. Ich esse jetzt einen Apfel. Gute Nacht, mein lieber, lieber Mann. Wann werden wir uns wiedersehen??
Deine Lotti