Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 22. Oktober 1944

den 22.10.44

Mein lieber Mann!

Ich habe gehört, die Post bringt die Briefe jetzt mit Auto nach Siegen, und deshalb schreibe ich. Was soll ich schon schreiben? Wir wissen nicht, was wir in den nächsten Tagen erleben. Ich hatte mich bei der N.S.V. erkundigt, ob ich mich mit den Kindern verschicken lassen kann. Das geht nicht mehr. Ich muss schon nachweisen, dass ich bei Verwandten aufgenommen werde, sonst muss ich warten, bis ich ausgebombt bin. Die beiden Angriffe auf Bonn waren schrecklich. Godesberg hat auch allerlei mitbekommen, das Lazarett Godeshöhe hat zwei Volltreffer bekommen und viele Tote. Busmanns Geschäft ist auch hin, ebenso das Gangolfhaus.

Ich weiß auch nichts zu schreiben, der Druck, der auf uns liegt, ist zu groß, besonders seit den Terrorangriffen. Danach, sind die Nerven ja immer erledigt. Ich hatte nur zwei Kinder bei mir, drei, darunter Klaus, waren fort.

Nach dem Angriff polterte es auf der Treppe und Klaus, den ich bei Kameraden wähnte, kam voller Eifer an. Er hatte oben gelesen, sah die Bomberwelle in ziemlicher Tiefe ankommen, sah das Abschießen der Rauchzeichen und wie sie dann die Bomben ausklinkten. Er zeigte mir hinterher die

Richtung. Es war, wo in Godesberg die Masse der Bomben gefallen war. Angst hatte er nicht gehabt. Wir desto mehr, denn es krachte fürchterlich.

Von Dir habe ich vierzehn Tage nichts mehr gehört. Das letzte war die kurze Nachricht, dass Du nach W. bei Hannover kommst. Wir kriegen augenblicklich überhaupt keine Post von draußen. Der Zugverkehr ist auch erledigt.

Lisbeth muss höchstwahrscheinlich weg. Der R.A.D. zieht alle jungen Mädchen für Flakgeschütze und so ein. Reklamationen gibt’s nicht. Sie werden sogar aus den Rüstungsbetrieben geholt.

Ich ginge jetzt gerne mit den Kindern weg, wüsste ich nur wohin und wie.

Wenn wir erst in Massen wegmüssen, graut mir. Ich sehe das Flüchtlingselend jetzt täglich im Päda, das gestern tausend Bonner hatte, heute die Leute aus der Eifel, morgen wieder andere und so fort. Alle Klassen sind mit Stroh ausgelegt, und darauf liegen immer wieder neue Massen. Ich meine immer, wenn Du kommen könntest, Du würdest mir doch fort-helfen,

Wann werden wir uns wiedersehen? Hoffentlich bekommst Du den Brief, der ja nicht sehr freudig klingt, aber uns hier ist das Lachen vergangen.

Viele, viele Küsse, Deine Lotti