Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 26. Januar 1945
den 26.1.45
Ach, mein lieber Mann, eben ist der lange Einschreibebrief von Dir gekommen, und nun ist bei mir auch wieder alles gelöst, und ich kann Dir schreiben und tue es auch sofort. Ich hatte die letzten Tage verschiedentlich einen Brief an Dich angefangen, aber es ging und ging nicht. Ich hätte so unendlich viel zu schreiben, oder vielmehr mit Dir durchzusprechen, aber der Gedanke, dass dieser Brief dann doch erst nach vier bis fünf Wochen bei Dir ist und dass dann alles schon längst von anderen Ereignissen überholt ist, lähmte geradezu.
Was ist schon seit dem 5., seitdem Dein Brief wegging, allein im Osten geschehen? Und darüber Reflexionen anzustellen und darüber mit Dir zu sprechen, geht nicht. Haben wir bis dahin eine Abwehr errichtet, oder sind sie, bis mein Brief bei Dir ist, in Stettin? Wer weiß es heute?
Ich dachte mir vom ersten Tag an, dass sie von Posen aus nach Stettin durchdrücken werden, und der Wehrmachtbericht spricht ja heute auch von einem Vordringen nach Nordwesten von Posen aus. Jetzt wird vielleicht in Pommern schon angefangen zu evakuieren. Ich hatte Hans und seine Familie wieder rückeingeladen oder schlug vor, dass wir uns in der Mitte treffen und das wäre in beiden Fällen ja wohl Sarstedt. Witzig, nicht?
Helga und Ursel machen mir viel Kummer und Herzweh. Aber ich sehe immer klarer, dass ich sie vor Ende des Krieges nicht wiedersehen werde. Wie lange dauert das noch? Meine Einquartierung glaubt, nicht mehr allzu lange.
Eine sehr nette Einquartierung haben wir, und es bringt in die langen Winterabende manche Anregung. Er ist hier bei einer SS-Einheit, hatte seine Ausbildung vor zwei Jahren in Kückenmühl bei Stettin bekommen. Das ist sozusagen äußerlich. Im übrigen ist er 40 Jahre alt, verheiratet in Berlin-Frohnau, sehr gebildet, sehr belesen und hat mit mir gemeinsame In-
teressen noch in Kunst, Musik usw. Weltanschaulich ist er gläubiger Katholik, der es mit seinen kirchlichen Pflichten sehr genau nimmt, übrige Ansichten auf der Linie Schultz, Ziemer, also conträr. Die Abende verlaufen infolgedessen sehr angeregt, manchmal hören wir ein gutes Konzert im Radio, sein Stammplatz ist der Deine.
Warum kannst Du nicht da sitzen? Essen muss er natürlich mit uns in der Küche, weil der Kohlen immer weniger werden. Im übrigen ist es eine reguläre, keine wilde Einquartierung, die hier langsam und reichlich zunimmt. Aber es werden jetzt Razzien gemacht.
Und es schneit und schneit hier wie toll. Seit Jahren hat in Godesberg nicht mehr so hoher Schnee gelegen.
Ach, Harald, hier liegt Dein Brief neben mir, und ich bin so glücklich, endlich wieder Kontakt mit Dir zu haben. Aber mit den 3%igen Urlaubern hast Du mir sofort einen sehr aufgeregten Floh ins Ohr gesetzt. Könnte das wirklich möglich sein, dass Du eines Tages hier erscheinst? Und hätte ich in der Neujahrsnacht dann nicht umsonst geträumt, Du seist gekommen?
Godesberg steht noch auf seinem alten Platz, und ich hoffe, dass es so bleiben wird. Da keine Züge mehr gehen und auch der letzte Transport vorige Woche wegging, müssen wir ja wohl oder übel bleiben. Aber schließlich und endlich sind vielleicht 500 Godesberger weggegangen oder tausend, das andere waren Fliegergeschädigte und so. Nach der Offensive im Osten habe ich weniger denn je Lust, hier wegzugehen. Irgendwo muss man das Ganze ja doch mitmachen. Und warum wollte trotz lebhafter Aufforderung kaum ein Godesberger weg? Und warum riet jeder ab von Stettin? Volkes Stimme, Gottes Stimme. Schon im September hieß es hier: Bloß nicht dorthin, dahin kommt der Russe. Ich glaube, Toni Hillenbrand hat nun auch ihren übereilten Entschluss bereut. Sie ist ja in Sachsen, aber immerhin...
Prietzes haben Weihnachten ihre beiden Jungens verloren, den einen als Nachtjäger, den anderen als U-Bootmann. (Rest fehlt)