Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 31. Januar 1945
den 31.1.45
Mein lieber, lieber Harald!
Heute ist nun der zwölfte Hochzeitstag, und ich meine, ich müsste ihn feiern. Es ist, als ob der Tag noch irgendeine Freude bringen müsste. Ich weiß natürlich genau, dass das nicht der Fall ist, noch nicht einmal Kuchen oder Weißbrot gibt es. Im Gegenteil, wir haben, weil es die Mitte der vierten Woche ist, weder Butter noch Marmelade mehr, und trotzdem habe ich irgend so ein erwartungsvolles, ein bisschen festliches Gefühl in mir. Aber ich werde wohl noch nicht einmal einen Brief von Dir bekommen. Und so wird dieser Tag dann zu Ende gehen, ohne dass irgendetwas besonderes und Erfreuliches passiert. Wenn es keinen Alarm gibt, werde ich nach langer Zeit heute in den Film gehen. Es gibt noch einmal 'Anna Favetti', und ich werde mir ihn allein deswegen ansehen, weil wir beide damals so entzückt von ihm waren, und es ist dann doch ein bisschen Verbundenheit mit Dir.
Hast Du gestern abend die Führerrede gehört? Ich möchte wohl gerne Deine Ansicht darüber hören. Ob wir wieder so einig sind?
Und hast Du vorher das Klavierkonzert von Beethoven gehört? Es war doch großartig und wie ein Gruß aus alter Zeit, als das Motiv im ersten Satz immer wieder auftauchte, das Du und Theo immer pfifft. Es ist bald wie graue Vorzeit. Wann fängt unser eigenes Leben wieder an? Ob der Krieg nach lange dauert? Und wie denkt sich der Führer in der Zukunft Ernährung und Rüstung ohne die Bauern von Ost- und Westpreußen, Wartheland und, wie es aussieht, bald Pommern? Und ohne Oberschlesien? Der 'Westdeutsche Beobachter' schrieb wörtlich: „Wenn die großen Gebiete von Ostpreußen und Oberschlesien weg sind, bedeutet das für unsere Führung, dass sie die Voraussetzungen für die großen operativen Unternehmungen, die sie plant, erst wieder schaffen muss!“
Eben erzählt mir Tulita, dass sie einen Brief von Helga am 17.1. bekommen hat. Und ich habe von dort seit Anfang Dezember nichts mehr gehört.
den 3.2.45
Ach, Harald, ich denke nur noch an den Osten. Ich kann nicht mehr glauben, dass es gut ausgeht. Schultzens und Hansi werden ja schon von Stettin fortgehen, d.h. Thea, denn Hans wird ja wohl als Volksturmmann dort bleiben müssen. Es ist entsetzlich, sich das auszumalen, denn was wird das Schicksal sein, doch nur Tod oder russische Gefangenschaft. Ein drittes gibt es aus einer belagerten Stadt heraus doch nicht mehr. Und das muss ausgerechnet Hans passieren, diesem überzeugten Nationalsozialisten und Liebhaber allen militärischen Drills!
Hier drängen mich alle Bekannten, ich solle die Kinder nur ja wieder aus Hessen holen, weil ich sie sonst für lange Zeit überhaupt nicht mehr sehen würde. Herr Pohlmann, unsere Einquartierung, rät als einziger unter allen Umständen ab, denn hin käme ich ja wohl mit irgendeinem Kraftwagen, aber er meint, dass ich vielleicht nun, da die amerikanische Offensive anrollt, nicht mehr zurückkomme, und dann sitzt die Omi mit den Kindern in der Front allein.
Ich war vorgestern in 'Anna Favetti', und der Film hat mich wieder genau so entzückt wie damals. In derselben Vorstellung gestern sind nun sozusagen aus heiterem Himmel von Tieffliegern Bomben geworfen worden, und es gab in dem überfüllten Saal eine Panik. Es waren natürlich die Bahngeleise gemeint, die natürlich auch getroffen sind, daneben ist das Hansa-Haus und Klutentreter weg. Und dann sind noch Bomben in der Dürenstraße bei Überhorst gefallen, haben aber, da sie in die Gärten fielen, nur Dächer abgedeckt, Scheiben zertrümmert, einige Wände eingedrückt und einen ausgewachsenen Baum oben auf ein Haus gesetzt. Da steht er nun.
Mit unser Einquartierung, Herrn Pohlmann, vertragen wir uns sehr gut. Schon die angeregten Abende Mit Gesprächen über alles Schöngeistige
Ich habe ihnen jetzt den Ofen aus dem Büro geliehen, weil sie wie viele Godesberger keine Heizung mehr haben und sich auf diesem Öfchen was kochen können, weil wir ja auch kein Gas haben und zugleich wenigstens einen Raum warmmachen können. Das Kohlenproblem ist ja sehr groß. Wie wird es mit der Zeit mit den Lebensmitteln? In den letzten drei Monaten sind uns auf den Karten (Reichskarten) hintereinander abgezogen worden: Brot, Fett, Butter, Puddingpulver, Nährmittel, Käse, Marmelade für die Kinder und Kaffeeersatz. Und was soll werden, wenn Ostpreußen und Posen, unsere Kornkammern, weg sind? Und das Oberschlesische Industriegebiet? Und wenn der Amerikaner hier wieder anfängt? Aber, wie gesagt, es hat keinen Zweck, hierüber Reflexionen anzustellen, nur darfst Du mir nicht übelnehmen, dass ich meine Erwartungen nicht zu hoch schraube. Ich habe überhaupt so meine Gedanken!
Aber ich erzähle lieber von hier. Beides, eigene Gedanken und die Erlebnisse von hier, sind ja längst überholt, wenn Du diesen Brief kriegst, aber immerhin.
Was sagst Du zu den Bildern von Jürgen? Etwas Maltalent hat er ja. Das Untere ist ein Panzer, oben zwei Flugzeuge. Sie sind ganz richtig gesehen und für einen Vierjährigen ganz hübsch gemalt.
Ach, Harald, ich darf gar nicht daran denken, dass Du auf einmal vor der Türe ständest.
Übrigens habe ich an Hans Schultz am 2.1.45 die 1000.- Mk. Darlehen überwiesen, damit Du es auch für alle Fälle weißt. Der Gute wird doch nicht schon im Osten als Volkssturmmann stehen?
Banthiens haben mir ein Telegramm geschickt. Hoffentlich brauchen wir ihre Gastfreund-schaft nicht in Anspruch nehmen. Bombensicherer ist es dort bestimmt nicht wie hier. Was machen wir, wenn Meyers unsere Kinder bis Kriegsende behalten müssen? Wir müssen dann doch etwas bezahlen?
Hast Du den Brief mit der Schilderung unseres Weihnachtsfestes bekommen? Tat es Dir nicht hinterher noch gut zu lesen, wie schön es gewesen ist? Gerade, weil Du es wahrscheinlich anders erwartet hast.
Hat es schon Zweck, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir unser Leben nach dem Krieg gestalten wollen? Ich finde, es hat Zweck, wenn auch noch so viele Wenns und Abers dazwischen stehen. Aber wie überbrücken wir das 'große Vakuum', wie sich Knur ausdrückte? Mit der Firma Fritzen ist es ja nichts. Wenn es auch verfrüht ist, daran zu denken, so finde ich, dass es einem doch Auftrieb gibt und die Trostlosigkeit der Gegenwart vergessen und irgendwie überbrücken lässt, wenn man die Gedanken weiter ausrichtet. Ich lebe augenblicklich sowieso über die Zeit hin, jeden Tag auf den Wehrmachtsbericht zu und irgendwie auf Deinen Urlaub oder das Kriegsende, jedenfalls auf etwas, das unser Leben neu anfangen lässt. Und ist es dann auch schwer, so hat man doch wieder was aufzubauen, auf etwas zu hoffen und für etwas da zu sein. Jedenfalls bin ich augenblicklich ziemlich gleichgültig für alles, was nicht Wehrmachtbericht heißt. So packt mich auch die Geschichte im Osten. Welches Glück, dass Hansi rechtzeitig aus Warthbrücken weg ist. In ihren Möbeln wird ja wohl ein russischer Kommissar sitzen, die hat sie ja nun gehabt.
Schultzens und Hansi schickten reizende Aufnahmen von unserer Nichte Ulrike. Das Blag ist auch schon ein halbes Jahr alt. Eine Stupsnase hat sie genau wie das Teufelchen auf dem Högfeldtbild. So sieht sie augenblicklich überhaupt ein bisschen aus.
Heidi ist jetzt rauf zu mir in unser Schlafzimmer gezogen. Jemanden dort oben zu haben, ist gemütlicher, wenn man mit seinen Gedanken abends dort landet.
Kriegst Du eigentlich die Briefe noch, die nach Steinhude gingen? Ach, mein lieber, lieber, lieber Harald, wie schön wäre es, wenn Du auf einmal auftauchtest. Ich denke gerade die letzte Zeit so viel daran. Eben, seitdem ich es in der Neujahrsnacht geträumt hatte.
Und nun weiß ich nichts mehr. Eigentlich sollte dieser Bogen ja auch noch ganz voll geschrieben werden. Meinst Du nicht doch, dass es einen Weg geben müsste, die beiden anderen Kinder wieder mit uns zu vereinen? Ich denke so oft an die Eltern, die ihre Kinder in KLV-Lagern im Warthegau, in Oberschlesien und Ostpreußen haben und die Schulen, die dorthin evakuiert sind. Ob die noch alle rechtzeitig weggekommen sind? Hier wird in der Zeitung auch wieder Propaganda gemacht, die Kinder in KLV-Lager nach Sachsen zu schicken, damit sie etwas lernen. Ob das noch viele Eltern tun? Besonders wenn doch jede schriftliche Verbindung sozusagen aufgehört hat. Und wie und wann mögen sie da ankommen? Und wie lange?
Eben war Frau von dem Borne bei mir. Sie ist richtig auseinander, weil sie bei dem kalten Wetter (-12 Grad) völlig ohne Kohlen dasitzen. Das Päda, die jetzigen Krankenanstalten, sitzt völlig ohne Brand da und die noch von Lehrern bewohnten angeschlossenen Häuser ebenfalls.
Im 'Westdeutschen Beobachter' steht, dass Stalin schätzungsweise 400 Divisionen auf die Beine gebracht hat, gegen 80 bis