Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 16. Februar 1945
den 16.2.45
Mein lieber Mann!
Nun hat bei dem gestrigen Jabo-Angriff mein elterliches Haus in der Wilhelmstraße dran glauben müssen. Bei 10, 12 und 14 stehen die Fassaden noch, aber hinten ist das meiste weggerissen. Ich war bei dem Angriff gerade in der Stadt. Das tue ich ja sonst nicht mehr, ich mache meine Besorgungen schön vor neun Uhr morgens, aber das Wetter war so verlockend, und ich konnte nicht mehr im Haus bleiben. Ich bin dann, als der Angriff losging, mit einem Hechtsatz vom Eisenladen Sonntag in den Godesburgbunker.
Komischerweise hatte ich die ganze letzte Zeit das Gefühl, als ob gerade auf unserer
Seite in der Wilhelmstraße etwas passieren würde. Im Bunker dachte ich auch wieder dran. Die Bombe hat am schwersten das Hafeneggersche Haus getroffen, das ganz unbewohnbar geworden ist. Ich war sofort da und habe mir das Ganze angesehen. Unser Garten sieht auch traurig aus. Dann sind Bomben ins Rathaus gefallen, in der Fronhofstraße, und eine ganze Reihe Häuser in der Siebengebirgsstraße sind weg und in der Karl-Finkelnburg- Straße. Der Traum von der Uninteressantheit Godesbergs für Flieger ist aus.
Von Hansi bekamen wir heute eine kurze Nachricht, dass sie mit dem Flüchtlingstransport aus Stettin weg ist und vorerst einige Tage Rast bei ihrer Schwägerin Nitka in Dessau macht. Von Schultzens schrieb sie
Das Wetter ist prachtvoll. Mittags sitze ich auf unserem kleinen Balkon in der Sonne. Aber die richtige Behaglichkeit fehlt. Das Leben ist reichlich unsicher geworden. Dazu weiß man, dass es nicht gutgehen wird. Außer dem Fanatismus müssen doch materielle Unterlagen da sein. Und der Osten macht immer größere Sorgen.
Heute ist ein Wetter, bei dem wir ins Gebirge gehen müssten, Du und ich, lange durch Wälder und die sonnigen Felder laufen und dann irgendwo in einem netten Gasthaus Kaffee trinken und dann
abends müde von viel Luft nach Hause kommen. Und vielleicht lüdest Du mich noch zum Essen ins Hotel Rheinland ein. Wo ist diese schöne Zeit?
Für uns ist nun auch die allerletzte Entspannung und Abwechslung weggefallen, der Film. Das Kino ist geschlossen. Grau und trostlos ist das Leben. Gespräche gibt's nur noch über die trostlose Lage, mit wem man auch zusammenkommen mag, es gibt keinen Menschen, der irgendwelche Hoffnung hat, es sei denn, man drehe das Radio an und hört die Berichte zur Lage.
Eigentlich müßsten einem bei diesem herrlichen wetter ja Hausputzgelüste kommen. Und so vieles im Hause müßte repariert werden. Und eigentlich wäre jetzt die Zeit, über meine Frühjahrssachen nachzudenken. Damit man weiß
daß man noch jung und einigermaßen passabel ist. Und jetzt kann man sich überhaupt nicht mehr vorstellen, wie diese schönen Empfindungen waren. Viereinhalb Jahre bist Du nun schon weg.
Man darf nur mit anderen Leuten sprechen, man hört nur Elend über elend. Tod und Zerstörung. Jammervoll ist es.
Es ist ganz toll, wie ich auf das Kriegsende warte. Jahrelang sprachen die Leute davon und mich hat es irgendwie nicht berührt, weil ich nie an ein baldiges Ende glaubte. Nun habe ich aber das feste Gefühl, daß der Krieg in ein paar Wochen aus ist. Und nun geht es mir wie im neunten Monat. Ich mag nichts Richtiges anfangen, ich will erst mal warten und hinterher kann dann alles neu in Angriff genommen werden.