Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 22. Februar 1945
den 22.2.45
Lieber Mann,
dass heute Post von Dir gekommen ist, lässt mich richtig wieder aufleben. Eben habe ich den einen Brief in den Kasten gesteckt, und schon schreibe ich wieder. Ich bin förmlich wie aus einem Bann erlöst, aus diesem mit den Gedanken immer im selben Kreis rumlaufen. Trotzdem warte ich jetzt wieder auf den Wehrmachtsbericht. Ich denke mir, dass in Finsterwalde auch schon heftig evakuiert wird.
Omi hält ihren Mittagsschlaf auf der Couch, und Lisbeth geht gleich mit Heidi. Kohlen holen.
Wir kommen ja nur noch bei den nötigsten Sachen aus dem Haus. Spazierengehn und Omis Grab besuchen ist überhaupt weggefallen. Das sind die Jabos. Auch jetzt sind sie wieder in der Luft. Ich hatte das schon geschrieben, dass bei dem letzten Jabo-Angriff vorigen Donnerstag unser Haus und besonders das
Hafengersche in der Wilhelmstraße dran glauben musste. Ich meine mit unserem Haus mein elterliches. Das steht ja auch nahe an der Bahn.
Und auf dem kleinen Tisch steht ein Strauß mit Lämmerschwänzchen in einer blau-weißen Vase. Überhaupt kommt hier der Frühling. Die Vögel singen gegen Abend schon ganz laut (sind das eigentlich Stare oder Amseln?)
Harald, wenn wir gesund bleiben und Du Brot für die Familie schaffen kannst, bleibt uns noch so viel Schönes. Die deutsche Kultur kann nicht untergehen, die Freude an Musik, Büchern und der Kunst bleibt. Und wir müssen uns wieder einen Kreis guter Bekannter bilden. (Augenblicklich schläft alles ein, schon allein wegen der ewigen Alarme, und dann fehlt auch das männliche Element, das uns erst die richtige Anregung bringt. Ohne das (…)
[Rest fehlt]