Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, vermutlich Februar/März 1943
sind eine Freude. Abgesehen von allen materiellen Vorteilen, die uns in reichem Maße werden. Hoffentlich geht er nicht so bald fort. Augenblicklich sieht er voll Schrecken den Krieg immer näher auf Berlin und damit auf seine Wohnung, seine Bücher- und Kunstsammlungen zurücken. Seine Frau mit den Kindern ist in Demmin in Pommern und wird nun wohl auch schon weggehen. Da er keine Kameraden hat, mit denen er harmoniert, verbringt er alle Abende bei uns. Er hat in den beiden Jahren keinen gebildeten Menschen in seiner Einheit entdeckt, mit dem er, wie du mit Wilhelm Lichtschlag, enger zusammen wäre. Sein Fahrer ist der Fleischer der Kompanie! Der steht sich gut mit ihm.
Über dem Osten haben wir hier die Westfront fast ganz vergessen, werden aber durch die erhöhten Bombenfälle wieder lieblich daran erinnert. Ich und alle andere sind fest entschlossen, wenn Godesberg nicht gerade Kampfplatz wird, hierzubleiben, auch wenn die Amerikaner hierher kommen sollten. Was sollen wir schon in Mitteldeutschland? Dort wird das Elend ja riesengroß werden, abgesehen davon, dass der Krieg höchstwahrscheinlich auch dorthin folgen wird, wenn er nicht vorher aus ist. Es sind doch schätzungsweise einige Millionen, die aus den Ostprovinzen flüchteten, und nun kommt so doch Berlin und Stettin dran. Übrigens ist Sonntag vor acht Tagen der letzte Transport hier von Beuel abgegangen, mit dem auch wieder Godesberger abgegangen sind. Ziel: Mark Brandenburg!!! Gau Halle. Merseburg war ja überfüllt. Wo mögen bloß die Schlesier, die Pommern und Westpreußen und Wartheländer hin sein?
Wer Verwandte dort hat, schrieb ihnen, sie sollten hierher kommen, und wir hatten das auch an Schultzens geschrieben. Es ist entsetzlich, was man von dem Elend dort hört, von den erfrorenen Kindern usw. Der 'Westdeutsche' schrieb sogar: „eine der größten Tragödien der deutschen Geschichte“. Die Kölnische Zeitung schrieb: „In den nächsten acht Tagen kann es uns Kopf und Kragen kosten.“
Und jetzt schreibe und schreibe und schreibe ich Dir, und doch fehlt uns beiden in der jetzigen Zeit die Aussprache. Ich möchte Dir meine Gedanken sagen, und es hat keinen Zweck, denn schreiben kann man das alles nicht. Vielleicht denken wird beide doch dasselbe, so dass wir brieflich keine langen Reflexionen anstellen brauchen. Und wenn ich es täte, so sind sie doch in vier Wochen, wenn Du den Brief hast, durchaus überholt.
Der unglaublich viele Schnee ist auf einen Schlag getaut, und nun haben wir sieben Grad Wärme. Und wieder mündet bei mir alles in die beiden Fragen, wann ist der Krieg aus, denn noch ein Kriegsweihnachten wird es nicht mehr geben, davon bin ich überzeugt, und wann sehe ich dich und die beiden Kinder wieder? Sieh mal, die beiden haben ja überhaupt keine Sommerkleider bei sich. Was Du mitgenommen hast, war lediglich die ganze warme Wäsche, erstens hättest du ja nicht mehr tragen können, zweitens hattest Du ja die feste Meinung, sie seien Weihnachten wieder zu Hause. Was nun, wenn sie noch ein Jahr dableiben müssen? Wo nimmt Lenchen die Sommerkleider her, wo die Schuhe für Helga, wie wird die Wäsche ersetzt? Was hattest Du
mit Meyers wegen des Unterhaltes ausgemacht? Was wird aus Helgas Schule? usw. usw.
Ist es nicht möglich, dass Du die Kinder wiederbringst? Dass wir doch alle zusammen sind? Stell Dir bloß bei einem unglücklichen Ausgang des Krieges das alleinstehende Haus beim Werk vor und die vielen hundert Fremdarbeiter, die dort sind und bei denen Hans nicht gerade eine sanfte Hand hatte (Fußtritte usw.)
Als Du damals gingst, sagtest Du, man solle in solchen Zeiten handeln, auch wenn man das Falsche tue. Aber handeln. Ich vertrete ja etwas das Sich-Treiben-Lassen und dann handeln im Augenblick, wie er kommt. Und ich bin durch die letzten Ereignisse in dieser Meinung noch befestigt worden. Ich habe ja auch nichts weggeschickt. Der wahre Grund damals war: ich konnte es einfach nicht.
Ich zögerte immer wieder und war froh, wenn Paketsperren waren. Nun kann es ja noch sein, dass hier alles kaputtgeschlagen wird, aber wo kann das nicht der Fall sein? Herr Blensdorf hat noch in der Woche vor Weihnachten alles, was er an Wertvollem besaß, nach Berlin geschickt und ist jedes Mal deswegen rüber nach Dollendorf, wo noch angenommen wurde, wo hier längst Sperre war. Frau Tenter, die ja hierbleiben wollte und es auch getan hat, hat trotzdem Silber, Porzellan und gute Wäsche nach Guben geschickt, und so kann ich Dir haufenweise Bekannte nennen. Die raufen sich jetzt alle die Haare. Gebe ich es nach Zissendorf, so ist es, was Bomben betrifft, mindestens so gefährdet wie hier, wenn nicht mehr, weil das Siegtal ganz anders rangenommen wird, und wenn die Front hierhin kommt, kommt sie auch dorthin. Das ist dann eine Frage von Tagen.
Heute ist der Teufel los in der Luft. Den ganzen Morgen rollte es schon von Teppichwürfen drüben überm Kottenforst. Wo ist eigentlich die Masse der Luftwaffe, dieses Etwas, das die Luftherrschaft der Amerikaner brechen sollte?
Herr Pohlmann erzählte, dass in der Wochenschau Bilder erschienen von den deutschen Jägern, es war eine wilde Kurbelei, und Massen von Jägern erschienen, und das ganze Kino, besonders die Soldaten, hätten laut gelacht, und als ich nun vorgestern im Film war, und die Stelle kam wieder, lachte wieder der ganze Saal los. - Du müsstest bloß die Ketten von Teppichwürfen den ganze Morgen hören, es ist entsetzlich. Es spielt sich jetzt mehr landeinwärts ab. Und ich mache jetzt Schluss und denke mir mein Teil. Außerdem wird es ungemütlich.
Der Himmel hat uns Herrn Pohlmann ins Quartier geschickt und nicht einen Russen, die außerdem mit Läusen behaftet sind und auch in der SS-Einheit sind. Strengers haben drei davon. Ohne Läuse allerdings. Fräulein Berg hat sie ohne Erlaubnis in der Wohnung von Fräulein Pfeil einquartiert, die ja weg ist. Die wird sich freuen, wenn sie zurückkommt. Wenn die ahnte, dass in ihrem jungfräulichen Bett ein russischer Soldat liegt. – Wenn gleich unsere Scheiben kaputtgehen, wundere ich mich nicht. Ich habe vorsichtshalber alles gelockert.
Jetzt habe ich Dir auf vier Seiten geschrieben und doch nicht das Eigentliche, was mir auf dem Herzen brennt. Viele liebe Küsse, Deine Lotti