Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 10. März 1941
den 10.3.41
Oben werden die Kinder ins Bett gebracht. Den zwei Großen merkt man unseren langen Spaziergang in keiner Weise an. Ich bin müder als sie. Helga behauptet, das sei der schönste Spaziergang ihres Lebens gewesen.
Wir sind zuerst die Elisabethstraße hoch und dann auf der Höhe über dem Marienforster Tal entlang gegangen. Dann durch den Wald zur Cäcilienhöhe (wir haben drei dicke Sträuße Anemonen gepflückt) und haben da Kaffee getrunken. Dann sind wir durch Muffendorf und an der Bleimaar entlang zum Rhein gegangen, weil Helga absolut nochmal in einen Wald wollte, und das war das Wäldchen in der Deichmannsau. Dann am Rhein entlang nach Hause. Die Kinder waren reizend. Wir haben so viel gelacht und uns alles Mögliche erzählt. Und das Kaffeetrinken auf der Cäcilienhöhe war gar nicht mal die Hauptsache. Das fand ich sehr schön. Ich werde in diesem Sommer viel mit den Großen und auch Klaus und Ursel ausgehen.
Ich muss jemand um mich haben, für den ich ganz und ohne Vorbehalt im gegenseitigen Nehmen und Geben da bin. Bisher warst Du da. Nun werden es die Kinder, an die ich mich in erster Linie anschließe, für die ich den Tisch hübsch mache, um ein Beispiel zu nennen. Und trotzdem habe ich heute abend irgendeine unbestimmte, traurige Sehnsucht. Ich wünsche mir irgendwas, auf jeden Fall nicht den Berg Strümpfe auf der Couch.
Eben bringt Lilli Linde mir die Feuerzangenbowle von Spoerl. Das geht. Ich habe mir eben eine Riege von der schönen Lindt-Schokolade dazu geholt. Noch bin ich allein in meinem hübschen Zimmer. Aber es ist Aufenthaltsraum für alle geworden. Die Omis gehören ja noch rein. Aber Lilli Linde betrachtet es jetzt zu jeder Tageszeit ebenfalls als ihren Aufenthaltsraum und unser Soldat ebenfalls. Das ist ja zu verstehen und soll auch sein. Aber praktisch ist es so geworden, dass ich zu keiner Stunde des Tages auch nur eine Minute ungestört für mich haben kann. Das Zimmer ist immer von irgendwelchen anderen besetzt. Und Du kennst ja meinen Hang, manchmal ganz mit mir allein zu sein (Allein, darin bist Du auch mit eingeschlossen gewesen.) Dich empfinde ich eben nicht als zweite Person.
Du schriebst heute um Geld. Mittlerweile wirst Du die 20.- Mk. bekommen haben. Mehr konnte ich nicht schicken. Deine Mutter war ordentlich böse, dass ich sie schickte, aber ich meine, ich müsste Dir was Liebes tun, und wenn Du irgendeinen Wunsch hast, meine ich, dass ich ihn erfüllen muss.
Draußen singt noch die Drossel, trotzdem es schon viertel nach acht ist. —
Es ist doch gut, dass wir uns täglich schreiben können. Ich weiß manchmal nicht, was ich schreiben soll und erzähle deshalb so viel Unwesentliches, aber ich kann auch die Briefe nicht schließen, weil ich mich dadurch von Dir trenne. Und deshalb wird immer noch ein Kapitel drangehangen und immer noch eins und immer noch eins.
Übrigens war von meinem Sorgenkind, der Verwaltung Rau und Mathieu Frau Gunkel hier und hat mir an Hand eines gelben Zettels gezeigt, dass sie die Februarmiete unter dem 2.3.
eingezahlt hatte. Gut. Das werde ich auf der Stadtsparkasse klären. Aber nun weigert sie sich, das Wassergeld zu zahlen, weil sie behauptet, im vorigen Jahr sei ein Rohrbruch gewesen und durch die Lässigkeit des Hausbesitzers, der keine Handwerker bestellt hätte, viel Wasser ausgelaufen, und das zahle sie nicht. Und dann wollte weder sie noch die anderen sich an den jährlichen Reparaturkosten von 10,- Mk. beteiligen, wenn sie es auch unterschrieben hätten. Ich habe ihr gesagt, sie solle das gefälligst zusammen mit den anderen Mietern der Firma direkt schreiben, dann ist wenigstens mein Rücken gedeckt.
Jetzt nimm mich in den Arm und küsse mich ordentlich. Ich tu's auch. Und denke nicht mehr solchen Unsinn, dass ich aus Absicht die Unterschrift weggelassen habe. Wenn das wirklich mal passiert, dann musst Du wissen, dass in dem Moment höchstwahrscheinlich hier viel aufeinander geraten ist.
Viele, viele Küsse,
Deine Lotti.