Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 13. November 1941

13.11.41

Mein liebes Lottenkind,

Ich sitze hier im Zimmer des Majors, der in Berlin ist. Sonst ist es nirgendswo auszuhalten vor Kälte. Seit Tagen haben wir einen saftigen Oststurm, der es aussichtslos macht, die Buden warm zu bekommen.Ich habe auch hier im Allerheiligsten den Mantel an, so geht es einigermaßen. Post erreicht uns schon seit Tagen nicht mehr und unsere Post liegt hier auch in Bergen und kann wegen des Sturmes nicht abtransportiert werden. Dein letzter Brief war der mit den Fleisch- und Käsemarken. Hab recht herzlichen Dank für alles. Es war sehr gut gemeint aber schicke bitte keine Marken mehr – außer Kuchenmarken –Denn ich kann hier nichts für kaufen. Die Hotels geben kein Essen und selbst in den Metzgereien kann ich keine Wurst kaufen. Ich will daher versuchen, die Marken in Reisemarken umzutauschen. Ihr könnt bei den knappen Portionen ja auch wirklich nicht entbehren. Aber gefreut habe ich mich doch, weil es sehr gut gemeint war.

Ich habe heute mit großem Genuss die Novelle Immensee ausgelesen. Sie ist meisterhaft und hat mich stark beeindruckt. Mit Entsetzen habe ich mir ausgemalt, dass es mir leicht ähnlich hätte ergehen können. Ich glaube, mein späteres Leben wäre verpfuscht gewesen. Ich lese hier und da etwas, je nachdem es die Zeit erlaubt, denn meiner Leidenschaft, dem Spazierengehen kann ich bei dem Sturm nicht nachgehen. Jeder Schritt ist Kampf mit dem Element. Ich hatte heute seit langem mal wieder einen freien Nachmittag. Mit dem Sturm im Rücken bin ich in den Ort gesaust und habe ein Glas Glühwein getrunken, dann bin ich auf den Leuchtturm ge klettert und habe mit dem alten Wärter ein Schwätzchen gehalten. Der große steinerne Turm schwankte hin und her im Sturm, sodaß es einem manchmal

ganz schwummerig wurde.Von dort oben sah man um die ganze Insel die See toben. Die Leuchtschiffe von der Insel verschwanden manchmal ganz in den Wellentälern. Der Alte hat mir dann den ganzen Mechanismus erklärt und ich bin bei ihm geblieben bis er den Leuchtturm in Betrieb setzte. Er ist bei dem Sturm jeden Abend an bis Fliegergefahr gemeldet wird und wird nachher gleich wieder in Betrieb gesetzt.

Bücher schicken brauchst du mir keine. Ich verwalte hier im Nebenamt eine 50 Bücher umfassende Luftgaubibliothek, die sehr gute Sachen enthällt. Ich komme aber kaum dazu, mal hier und da einen Blick hinein zu werfen. Höchstens mal ein besonders schönes Reklamheftchen wäre am Platze. Wilhelm LichtschlagVersorgt mich auch damit. Ich habe von ihm jetzt von Swend Fleuron “ Die Marodeure der See“ Gelesen. Es waren einige Tiernovellen, die sehr gekonnt und gut waren. Sonst hat der Sturm, die Gemütlichkeit, die Beschränkung in der Bewegungsmöglichkeit eine neue sehr starke Heimwehwelle in mir aufgewühlt, die mir sehr zu schaffen macht, da sie mich mitten im Dienst fortreißt nach Godesberg zu Dir. Ich habe das noch nie so stark empfunden wie jetzt. Die Sehnsucht nach Dir ist wohl immer in mir, aber jetzt schmerzt sie förmlich. Ich kann begreifen, wie jemand aus und in einer solchen Stimmung Fahnenflucht begehen kann, ohne ein schlechter Kerl zu sein. Meine Fantasie gaukelt mir immer wieder wundervolle, einmalige Stunden mit Dir vor und das Unvermögen, Dich auch nur einmal zu sehen, ist schrecklich. Nicht einmal sprechen kann ich mit Dir. Die Kameraden haben schon versucht zu telefonieren, aber die Verständigung ist so schlecht, daß nichts dabei herauskommt. Wenn wir mit Jever telefonieren, müssen wir uns schon heiser brüllen. Ich hätte sonst längst schon angerufen.

Wer weiß, wie lange wir nun noch auf diesem trostlosen Eiland liegen bleiben. Von unserer Verlegung ist es ganz still geworden.  

Außerdem kommen schon dauernd Jagdverbände aus dem Osten zurück. Husum ist von einem solchen belegt worden. 600 Abschüsse hat er mitgebracht. Daneben wirken unsere 96 sehr kümmerlich. Unsere sind allerdings alles Tommys und Franzosen.

Wir haben jetzt Dux, den Hund vom Major auf unserer Bude, weil Maiss für ihn sorgen muß. Er ist unsere Alarmsirene. Er wittert die feindlichen Flieger längst bevor man sie hört oder die Flak schießt. Er wird dann ganz unruhig und fiebst. Nachts springt er wohl auch vor Angst auf ein Bett.

Ach Lotting, unsere Spaziergänger sind mir doch eine zuliebe Erinnerung. Ich habe sie im Geiste schon 1000 mal wiederholt. Das herrliche, friedliche Land liegt dann sonnenübergossen so wirklich vor meinem Auge, daß Ich die Freude der Urlaubstage noch einmal empfinde.

Mit Weihnachten wird es diesmal sicher nichts, denn es sind immer noch Kameraden da, die seit Dez. und Januar keinen Urlaub mehr gehabt haben. Es ist scheußlich, aber nicht zu ändern. Ich hatte doch irgendwie gehofft, mein 2. Kriegsweihnachten bei Euch zu verleben. Dazu kommen weitere Einschränkungen der Eisenbahn. Wenn Sturm ist, kann auch keiner von der Insel runter. Ein Kamerad bekam ein Telegram, daß sein Vater gestorben ist. Er setzt trotz aller Bemühungen noch hier, derweil sie seinen Vater begraben.

Nun habe ich noch ein paar Fragen. Hat es mit Weil geklappt? Hast Du meinen H.J. Führerausweis Fritz Palm gebracht? Tue es bitte. Man weiß nicht, wie mir das mal nutzen kann. Hast Du bei der Partei angerufen wegen meiner Mitgliedsnummer? Beantworte mir bitte diese Fragen.

Es grüßt und küsst Dich lieb und innig                        
Dein Harald

Grüße auch bitte die Mutter und die Kinder recht lieb