Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 14. November 1941
14. 11.41
Mein liebes Lottenkind,
Seit Tagen sind wir von aller Welt abgeschnitten. Es gibt keinen Film, wir essen bereits Stapelbestände und bekommen keine Post. Da fällt mir gerade ein, dass der letzte Film, den ich gesehen habe der „Blaufuchs“ war, von dem Du damals so durch und durch angeregt nach Hause kamst. Ich habe viel daran denken müssen, während der Vorführung.
Da fällt mir eben ein, daß ich Dich bitten wollte, die angefangene Geschichte, die ich Dir schickte, mit der Schreibmaschine mit 3 Zeilen abstand abzuschreiben und mir zuschicken. Ich will sie fertig schreiben und überarbeiten. Dann schreibe mir auch bitte noch in welchem Verwandtschaftsgrad der Göttinger Endemann mit mir steht, damit ich ihn richtig anreden kann.
Das Geschäft liegt wohl ganz still. Die Mathieuschen Häuser sind wohl nicht zu verkaufen. Hat sich der Interessent für die Quellenstraße nicht mehr gemeldet.von dem Vergleich mit Wittersheim halte ich garnichts. Wenn er jetzt mit seinen Versprechen auch nur 1 Tag im Rückstand bleibt, muss sofort Möller benachrichtigt werden. Hat Klein jetzt aufgeholt, sonst muß auch ihm mit dem Anwalt gedroht werden.
Im Grunde liegt mir hier alles Geschäftliche meilenfern. Es interessiert mich viel mehr, wie wohl der schöne Ofen von der Mu im Eßzimmer aussehen mag. Ihr heizt jetzt sicher nur Küche, Eß- und Wohnzimmer aus Kohlenersparnis. Wir müssen hier schrecklich sparen, obgleich es hundekalt ist. Unsere Zimmer dürfen erst ab 17 Uhr geheizt werden mit dem Erfolg, daß sie nicht warm werden, denn der Sturm bläst durch alle Fugen und deren gibt es genug. Morgens kann ich garnicht schreiben so steif sind die Finger.der Oststurm stürmt nach wie vor
mit 70-80 Stundenkilometer Geschwindigkeit (= Windstärke 9). Ob man sich auch daran gewöhnen kann? Es scheint fast so, denn heute – es scheint allerdings endlich mal wieder die Sonne – kommt es mir nicht mehr so trostlos vor, obwohl der Sturm merklich kälter geworden ist. Die Dünen sind steif gefroren, der Sturm hat ihnen ganz bizarre felsenähnliche Formen gegeben und man kann jetzt an ihnen herumklettern wie an Kalkfelsen.
Du wolltest wissen, wie ich die politische Lage beurteile. 1. Der Kriegseintritt Amerikas erscheint mir unvermeidlich. Wann er erfolgt, kann niemand sagen. Ich glaube aber, daß wir nur wenige Wochen zu warten brauchen. In Rußland ist es ruhiger geworden, abgesehen von der Krim, die wir wohl in etlichen Tagen ganz besetzt haben werden. Wir werden wohl die Besetzung des Donezbeckens noch beenden und die Einkreisung Moskaus; das andere muß der der Winter machen. Der Hauptkriegsschauplatz dieses Winters wird das Meer, Afrika und der Kanal sein. Vielleicht kommt auch noch eine Front im Südosten hinzu. Wir wollen hoffen, daß dann das kommende Jahr die Entscheidung bringt, aber wissen kann es niemand. Es wird wieder ein richtiger Erschöpfungs- und Nervenkrieg werden. Jeder Mießmacher in der Heimat ist so gefährlich, wie ein englischer Soldat. Lasst Euch ja keine Mießmacherei gefallen, ganz egal von wem sie ausgeht, sondern fahrt jedem kräftig über den Mund. Wenn wir diesen Krieg verlieren sind wir erschossen. Man braucht sich nur die Wut der Juden und ihren Einfluss vorzustellen, um sich alles plastisch ausmalen zu können.
Heute ist ein Schwarm unserer Jäger nach Neukuhren. Zum Schutze von Königsberg verlegt worden. Der Russe hat sich gestern Tagesangriffe geleistet, die ihm unsere Jäger verleiden sollen. Ob wir auch noch hinterher kommen. Unsere Jäger haben von W´ooge bis Neukuhren mit Zwischenlandung in Kolberg (zum Tanken) 2 ½ Stunde gebraucht. Doll was! Wenn ich so ein
Ding hätte könnte ich in einer Stunde bei Dir sein. Was sind heute noch Entfernungen. Für uns Erdenwürmer sind sie aber immer noch reichlich groß.
Unser Major ist in Berlin, der Adjutant in Neukuhren, so gibt es vielleicht ein paar ruhige Tage. Vielleicht.
Ach, wie gerne wäre ich mal einige Stunden bei Euch und im warmen, gemütlichen Zimmer. Die ewigen Soldaten Gesichter wird man doch leid.
Du schreibst mir gar nichts von Helga, aber es werden sicher pfundweise Briefe auf der Bahn bzw. in Jever liegen.
1000 liebe, liebe Küsse Dein Harald
Den Kindern und der Mutter viele liebe Grüße.
Hurrah! Eben kommen 2 Briefe von Dir und einer von Helga. Den Brief von Anneliese habe ich auch bekommen – schon vor 3 Tagen. Ich freue mich schrecklich. Es hat unsere alte gute W.34 (Kurierflugzeug) also doch gewagt und geschafft. Heil ihr! Und Euch danke ich recht herzlich. An Mutter schreibe ich morgen, wenn ich irgend Zeit finde. Hast Du die Zinsen an Banthiens überweisen können?