Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 23. Februar 1942
O.U., den 23. Februar 1942
Mein liebes Lottingkind,
ich habe gerade nichts zu tun und es fällt weniger auf, wenn ich Schreibmaschine schreibe, als wenn ich heimlich mit Briefbogen rum vorstelle. Also setze ich (mich) mit eiserner Amtsmiene an die Maschine und schreibe dir. Es fällt mir allerdings gerade ein, daß ich eigentlich gar nichts von Bedeutung weiß, aber ich hoffe, daß Dich auch ein Brief, der nicht gerade auf inneren Zwang hingeschrieben wird, freut. Der gestrige Sonntag ist sehr ruhig verlaufen, wie nicht anders zu erwarten war. Ich hatte langen Dienst, war anschließend entsprechend müde und ging früh ins Bett. Gestern habe ich auch zum ersten Male Fräulein Hilde Möckel gesehen und gesprochen. Ich trage nun die Grüße ihres Vaters, ihrer Mutter und Schwester seit dem 26. Dezember mit mir herum und wußte sie nicht los zu werden. Gestern mußte ich nun mal wieder zur Marine- Fernschreibstelle und zwar bei Tage; da bin ich dann einfach bei ihr reingegangen und habe die Grüße endlich bestellt. Ob ich sie mal einladen muß zu einem Glas Wein? Am kommenden Freitag fährt Fräulein Küpper in Urlaub, weist Du das ist die Godesbergerin von der Horstvermittlung, deren Eltern ich damals im Weihnachtsurlaub die Grüße bestellte. Ich will mal versuchen ihr eine von meinen beiden Flaschen Rum mitzugeben. Dann bekommt Ihr sie wenigstens unbeschädigt. Wenn Frl. Küpper zu Dir kommen sollte, dann empfangen Sie bitte recht nett, denn sie wird hier alles getreulich wieder erzählen. Sie geht hier mit einem meiner Unteroffiziere und die sollen von ihr hören, daß ich sehr schön wohne, so etwas imponiert hier enorm. Vielleicht setztest Du ihr zur Belohnung für das Mitnehmen gleich einen Grog vor. Die 2. Flasche kann ich ihr wohl nicht mitgeben, denn das wird ihr zu schwer und das kann ich ihr nicht zumuten. Es ist doch immerhin eine Gefälligkeit. Ich bin mal gespannt, wer in dem Tauziehen um uns Alte(n) recht behält; der Major oder die Division. Ich fühle mich seitdem ich von den Vorgängen weiß, nicht mehr recht hierher gehörig. Es ist ganz komisch, wie man durch so etwas beeinflußt wird. Hast Du mal was von Hans Steffen gehört, wo der sich jetzt rumtreibt? Wie mag es Charly gehen? Rufe doch mal Edith an und erkundige Dich, denn es dauert immer so schrecklich lange bis man Antwort bekommt. Wie sollen die Armen bei den anhaltenden schweren Kämpfen auch schreiben. An Heinz Schilling werde ich dieser Tage auch wieder schreiben. Nach dem furchtbaren Winter stehen diese Ärmsten nun wieder vor einer Offensive, an der sicherlich wieder alles dran sein wird. Es wäre doch schrecklich, wenn einer von ihnen fiele.
Bist Du noch mal mit Gudrun zusammengekommen? Wie geht es denn den beiden Müttern? Ist Auguste wieder auf und fühlt sie sich besser. Es ist ein Unsinn, daß sie immer wartet, bis es gar nicht mehr geht. Sie sollte sich lieber in gewissen Abständen mal einen Tag ganz hinlegen, wie es ihr der Arzt befohlen hat. Ist Luischen noch im Krankenhaus? Sie muß ja wohl so lange dortbleiben, wie irgend möglich, da Du sie ja nicht pflegen kannst. Schreibe doch mal, warum Anneliese nicht kommt, wie Du es doch mit ihr verabredet hast. Ist sie inzwischen Dienst verpflichtet worden. Es wird mir immer ganz schwindelig, wenn ich mir den Berg von Arbeit vorstelle, der jeden Tag auf Dich wartet. Dazu noch alle die Erschwerungen, von denen man früher nichts wußte, wie Milch holen, usw. Hast Du dir mal meinen um Räume Plan überlegt. Es fiele dadurch eine ganze Etage aus.
Halten denn nun die kleinen Möpse ihr “ Ehrenwort“ oder ist die Anziehungskraft des Zuckers größer? Ich weiß mich noch genau zu erinnern, daß es eine Zeit gegeben hat, wo wir auf jeden Dreck unser Ehrenwort gaben und uns dabei vorkamen, wie Indianer. Es ist mir kaum fasslich, dass meine Puten jetzt auch schon so weit sind. Wir müssen aber, ohne die Sache allzu tragisch zu nehmen, darauf hinwirken, dass sie ihr Ehrenwort auch halten.
Hast Du mal wieder was von Bep(p)o gehört, liegt er noch im Lazarett oder ist er schon wieder bei der Truppe? Ich sah hier gestern im Revier, wo ich wegen meinem Furunkels war, einen Flakkanonier, der an beiden Füßen Faust dicke Frostbeulen hatte. Es sah ganz grauenhaft aus. Was mag da erst in Rußland alles passiert sein, denn die Kälte, die wir hier hatten, war doch immerhin 10-15° niedriger als die in Russland. Nur der permanente Oststurm war, glaube ich, original russisch. Der Sturm ist übrigens viel schlimmer als Kälte. 15° Kälte kommen Dir geradezu warm vor gegen 8° Kälte mit Sturm. Bald wird es aber März sein und dann haben wir das Schlimmste hinter uns. Es sieht zwar noch garnicht danach aus, als ob es wärmer werden wollte, aber allein der Gedanke, daß es März ist, ist schon tröstend und wärmend, findest Du nicht auch.
Das ist nun, wie ich es voraussah, ein richtiger Allerweltsbrief geworden, aber Du mußt halt die Länge für den Inhalt nehmen. Es geht nicht immer so wie man gern möchte. Ich erfreue mich hier auch über jeden Deiner Briefe, auch wenn Du selber stellst und meinst, es stände nichts drin.
Ich grüße Dich, die Mütter und die Kinder recht lieb und Du bekommst noch obendrein einen recht lieben Kuß
von Deinem Mann
Dein oller Harald
(Am Rand: Einliegend 1 „Reich“ und 21,- Mk)