Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 1. März 1942

Jever, den 1.3.1942

Mein liebes Lottenkind,

Heute ist nach dem Kalender Sonntag, aber ich merke nichts davon. Fast genau so wird es Dir auch gehen und weil ich das weiß und weil Dein Brief gar so kläglich klang, setze ich mich wieder an die Maschine, um Dir heute bereits den 2. Brief zu schreiben. Ernst Hildebrandt vertraute mir gestern an, dass er etwa am 20. März Familienzuwachs erwartet. Ich hatte das schon in Wangerooge von Wilhelm L. gehört. Leider hat Frau H. eine schmerzhafte Unterleibsentzündung, die erst behandelt werden kann, wenn das Kind geboren ist. Sie sieht also einer nicht ganz leichten Geburt entgegen. Wilhelm Lichtschlag tat es genau so leid wie mir, daß wir nun endgültig auseinander kommen.

Ist es nicht eigentümlich, daß ich schon zum 2. Mal in meiner Dienstzeit am 27. Februar verlege; im vergangenen Jahr von Schiphol nach Bergen und jetzt von W´ooge nach dem Festland. Ich werde in den nächsten Tagen mal auf Entdeckungsreise unternehmen und mir das Städtchen mal ansehen. Ernst sagte mir, daß meine Abneigung unbegründet sei und daß es hier ganz hübsch sein. Na, wir werden ja sehen.

Von hier aus werde ich sicherlich auch Gelegenheit haben, Erwin Stoltenhoff in W´haven zu besuchen, da von hier aus ein Omnibus nach dort fährt. In meinem Brief von heute Vormittag hatte ich Mk,- 8 eingelegt. Den Empfang bestätige mir bitte. Leider habe ich meine Briefnummernliste in W´ooge liegen lassen, sodaß ich meine Nummerierung nicht weiterführen kann. Ich glaube, daß ich bis Nr. 6 gekommen war. Sind alle Briefe auch angekommen?

Trotz Mutters eigentümlicher Einstellung, die mir umso unverständlicher ist, als sie selbst doch immer mit Stolz und Freude von ihrem gepflegten Heim in Melsungen erzählt, bitte ich dich nach Möglichkeit Form und gute Manieren bei Tische zu wahren. Ich weiß es von mir selber, wie schnell man verkommt, wenn man nicht dauernd gute Formen als Selbstverständlichkeiten gewöhnt ist.

Außerdem ist es in unseren Kreisen auch vollkommen unmöglich wie die Schweinchen direkt aus dem Trog zu fressen. Das findet man heute sogar bei Arbeiterfamilien nur selten. Kannst Du dir vorstellen das bei Schneidermeister Schmidt in Ittenbach aus

Kochpott gegessen wird. Ich glaube sogar nicht, daß das bei Degens geschieht. Frl. Wolff wird es wohl für richtig halten uns aber trotzdem bei anderen Leuten damit verächtlich machen. Wenn wir uns selbst unter das Proletariat einordnen, müssen wir uns nicht wundern, wenn es andere auch tun. Laß Dir nichts anderes aufschlitzen oder aufzwingen. Berufe Dich ruhig auf mich.

In Wilhelmshaven soll auch ein S.V.- Stammtisch sein, den ich nach Möglichkeit auch mal besuchen will. Urlaub scheint hier bei meiner Dienststelle, wie mir die Kameraden sagen, auch groß geschrieben zu werden.

Wenn der Winter sich auch dieses Jahr ganz verrückt und halsstarrig benimmt, so muß er doch in den nächsten 2 Wochen raus, da hilft ihm nichts. Damit wird aber auch das Heizen, das so viel Arbeit macht, eingeschränkt werden. Hoffentlich gibt es keine Nachtfröste. Also Kopf hoch, Lotti! Es wird schon wieder besser!

Was hat denn Frau Fitschen gesagt. Legt sie ihr Herz in Falten und ergibt sich in das Unvermeidliche oder meutert sie. Ich kann mir ja nicht helfen, aber ich glaube, ich meuterte, wenn ich in Godesberg wäre.

Jetzt noch eine Bitte! Kannst Du mir schnell ein altes Messer und eine Gabel schicken. Hier ist nichts dergleichen zu haben. Es müßte aber schnell gehen.

1000 liebe Grüße und Küsse von deinem
Harald