Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 20. März 1942 (eher: 1943)
20.3.1942 [1943?]
Mein liebes Lottenkind,
ich war schon ganz traurig, als heute schon am 2. Tag keine Post von Dir kam, als plötzlich ein Kamerad mit Deinem Paket ankam. Hab einen recht herzlichen Dank dafür. Ach was schmeken doch die Sachen von daheim gut. Die Äpfel habe ich gleich gefressen, denn nach Probst bin ich sehr ausgehungert. Das gibt es hier schon lange nicht mehr. Wo habt Ihr es nur her? Die Butter ist gar aus Borken. Habt Ihr sie von Nassenerfurt geschickt bekommen, oder bekommt Ihr sie dort und hatte sie Euch abgezogen? Das sollt Ihr aber nicht, denn satt werden wir hier immer noch leidlich. Seife habe ich ja nun genug. Ich hatte nur auf ein Stück zu hoffen gewagt. Die Zigaretten haben mir eine ganz besondere Freude gemacht, denn auch hier hatte ich nach Deiner Ankündigung nur mit einem kleinen Päckchen zu 6 Stück gerechnet, und darüber hätte ich mich schon sehr gefreut.
Ich habe mich jetzt so langsam etwas eingelebt und bin nach Deinem Rezept verfahren. Ich habe mir den Anständigsten der hiesigen Leute, zu denen ich glücklicherweise hoch aufs Büro gekommen bin etwas genähert. Er ist jetzt ganz nett und hat die Opposition aufgegeben. Mit dem Hauptstänker habe ich ein offenes Rencontre gehabt, das nicht von Pappe war. Seitdem die Anderen sehen, daß ich mir nichts gefallen lasse, daß ich aber auch keinen Fresse, sind sie auch netter. Dazu kommt noch ein alter Kumpel von der alten J.G.1 zu uns (Walter Buddemeier) , den ich sehr gut leiden konnte. So wendet sich also alles zum Besseren. Heute bekamen wir eine Dame aufs Büro. Sie schielt und hat oben rum einen Umfang wie ein Faß. Also fernguggen werde ich mich sicher nicht in sie. Wo ich auch immer hinsehe, Lötting, Du bist und bleibst die Liebste und Hübschste.
Es ist nun unterdessen der 21. geworden. Ich kam gestern nicht zum Weiterschreiben. Heute habe ich nun Nachtdienst und habe schön Zeit und hoffentlich auch Ruhe zum Schreiben ich bin jetzt soweit eingearbeitet, daß ich den Nachtdienst, den immer ein Schreiber vom Staat machen muß , mitmachen kann. Leider kann man am nächsten Tag nur 2 Stunden nach Schlafen. Wenn man nun Glück hat und wird nachts 10mal geweckt, schläft also praktisch überhaupt nicht, dann wird es etwas knapp. Hoffentlich lässt man mich also in Ruhe.
Eben denke ich daran, daß heute Frühlingsanfang ist. Na, sehr frühlingsmäßig sieht es hier gerade noch nicht aus und ich wurde blass
vor Neid als ich heute in Deinem Brief las, dass Ihr schon mal 24° im Schatten hattet. Hier hat das mildere Wetter gerade dazu gelangt die gröbsten Schneemassen wegzutauen. Im Schatten und an geschützteren Stellen liegt hier immer noch Schnee. Von Rußland las ich, daß teilweise noch 40° gemessen werden.
Unser neuer Ia ist ein Ritterkreuzträger und kommt direkt aus Rußland. Er hat heute einen Vortrag gehalten, der sehr interessant war. Er sagte, Rußland habe die ganze Welt und auch uns über seine wahre Stärke sehr geschickt getäuscht. Alle Spionageergebnisse waren falsch. Der Winterfeldzug gegen Finnland und die Besetzung der baltischen Länder wären ein glänzender Bluff gewesen. Was Rußland dort der Welt gezeigt hat, war alles nur im Hinblick auf das große Ziel gedacht. Nach den tollen Verlusten hat Rußland zur Zeit nach neuen Schätzungen noch 320 kampffähige Divisionen. Es stehen jetzt, nachdem anfänglich nur mangelhaft ausgerüstete Einheiten in Erscheinung traten, viele vorzüglich ausgebildete Einheiten mit großartiger Ausrüstung im Feld, die der unsrigen teilweise überlegen ist. Nur der aufopfernd Todesverachtung und unglaublichen Härte unserer Truppen sei es zu danken, dass der Russe nicht durchgebrochen sei. Die Ausbildung und Intelligenz der russischen Pioniertruppen grenze ans fabelhafte. Vollkommen zerstörte Bahnhöfe, seien innerhalb von 8 Stunden wieder betriebsfähig gemacht worden, usw. Demnach gibt es im Frühjahr – je nach dem Wetter Mai oder Juni – noch eine harte Nuß zu knacken.
Ich habe schon erwähnt, daß inzwischen der erwartete Brief von Dir angekommen ist. Hab vielen Dank dafür. Hoffentlich komme ich auch morgen dazu Dir zu schreiben und bin ich zu müde. Ich möchte Dir am liebsten jeden Tag schreiben, weil ich ja auch so gern täglich Post bekomme. Es ist jetzt 0,25 Uhr. Das Radio spielt hübsche Schlagermusik. Das ist neben dem Schreiben ganz hübsch, es verpflichtet nicht zum Hinhören und wird doch empfunden.
Julius Pütz hat mir heute wieder geschrieben. Er hat am 27.3. Besichtigung und damit ist seine Rekrutenzeit vorbei. Annemarie war wieder mal 10 Tage in Pinneberg. Wenn ich den Brief beantwortet habe, werde ich ihn Dir mitschicken. Hast Du mal wieder was von Charly gesehen oder gehört. Er wird Dich ja wohl nicht besuchen, weil ich Edith auch nicht besucht habe, aber ich wüßte doch sehr gern, ob er meinen letzten Brief bekommen hat oder nicht. Wie lautet denn seine neue Anschrift?. Wenn ich nur wüßte, was aus Heiner Göbl geworden ist? Ich schrieb Dir doch schon mal, daß ein Brief von mir an seine alte Feldpostnummer zurückgekommen ist mit der Aufschrift “ Neue Anschrift abwarten“. Ein Anschrift hast du wohl noch nicht erfahren können.
Aus Tante Emiliens Brief habe ich erfahren, daß Helga auch in W´haven
ist. Da werde ich sie vielleicht mal besuchen, wenn ich mal hinkomme. Bis jetzt ist es mir noch nicht gelungen, hier rauszukommen.
Das Buch „Generäle, Geishas und Gedichte“ habe ich aus; die beiden anderen von Dir genannten Bücher sind auch hier in der Bücherei. Ich habe mich aber vor erst mal entschlossen über dasselbe Thema „Das neue Asien“ von Colin Ross zu lesen. Beide Schriftsteller sind in Japan verliebt. Wo Japan doch zur Zeit unser Verbündeter ist, interessieren mich solche Abhandlungen noch mehr als sonst, besonders, weil beide Bücher neuen und neuesten Datums sind. Es gibt hier so viel Schönes zu lesen, daß meinethalben gar kein Dienst zu sein brauchte, damit man nur einigermaßen durchkäme. Es wird doch heute allerhand für die geistige Weiterbildung des Soldaten getan. Es ist nur hier so wie überall. Lesen tuen nur die, die es auch daheim tuen würden. Die Anderen langweilen sich lieber nach Zahlen und sind beinahe entrüstet, wenn man ihnen vorschlägt, ein Buch in die Hand zu nehmen. An der Stellung zum Buch kann man beinahe den inneren Wert des Menschen abschätzen. Es ist weiterhin natürlich auch so, daß wir als Heimateinheit mit derartigen Dingen gesegnet werden, während sie an der Front fehlen, wo ein gutes Buch geradezu Wunder wirken könnte. Wer will es aber hin befördern, wenn die Beförderungsmöglichkeiten nicht einmal für den notwendigsten Nachschub von Munition und Verpflegung reichen.
So ist alles mal wieder unzweckmäßig verteilt. Was kann man da schon machen. Es kann sein, Lotting, daß Dir von Annemarie Pütz meine Schießbrille zugeschickt wird, dann leiten Sie bitte gelegentlich an mich weiter, gibt aber acht, daß sie die Kinder in der Zwischenzeit nicht kaput würgen, denn dann muß ich sie bezahlen.
Du gehst trotz mehrfacher Fragen garnicht auf Helgas Blinddarm ein. Ich halte dafür, daß man ihn beizeiten wegnimmt, wenn erwiesen ist, daß er nicht intakt ist, oder wenn die Gefahr besteht, dass Verwachsungen auftreten. Eine Blinddarmoperation in gesunden Tagen ist ein Kinderspiel. Die ganze Sache dauert etwa 8 Tage, bei Kindern geht es oft noch schneller. Wenn aber im Stadium der Entzündung operiert werden muß, geht es häufig genug um Stunden, und wenn man nicht gleich richtig erkennt, um was es sich handelt, ist es oft schon zu spät. Es wäre mir daher eine richtige Erleichterung, wenn ich wüßte, so oder so ist es. Kann denn Monar keine einwandfreie Diagnose stellen?
So, nun merke ich aber doch, daß ich müde werde. Es will nicht mehr recht mit dem Denken und das ist ja auch kein Wunder, denn nach einem arbeitsreichen Tag ist der Mensch in der Nacht müde. Auch wenn er mit seinem Frauchen zum Frühlingsanfang gern ein bißchen feiern möchte und da