Harald Endemann an seine Mutter, 12. Juli 1942
Jever, den 12. Juli 1942
Mein liebes Mutterchen,
Dein Brief war der einzige, der zu meinem Geburtstag pünktlich zur Stelle war. Ich danke Dir herzlich für Deine lieben Worte und das liebe Geschenk, das ich sehr gut brauchen kann. Es ist heute Sonntag aber er hat nichts behagliches an sich. Es ist eisig kalt und es stürmt. Ich habe Sonntags Dienst und benutze die Zeit, diesen Brief zu schreiben, denn im Augenblick sind keine Offiziere dar. Unsere Unterkunft hat bei dem letzten Bombenangriff auf Wilhelmshaven durch 2 Luftminen, die unseren Flugplatz galten schwer gelitten. Es sind weder Fenster noch Türen mehr drinn. Wir hatten auch einen Toten und 5 Verwundete darunter auch Unteroffizier Büchner, von dem ich während des Urlaubs mehrfach erzählte. Ich war zufällig, da ich Nachtdienst hatte nicht in der Unterkunft, als der Seegen niederging. Ich war froh, daß Lotti noch nicht hier war, denn so etwas hat sie doch noch nicht mit gemacht. Bomben und Minen fielen pausenlos, sodaß der Boden beständig schwankte und man das Gefühl hatte, auf einem Schiff zu stehen. Trotzdem ist verhältnismäßig wenig passiert, trotzdem der Platz durch hunderte von Leuchtschirmen und einigen Bränden taghell erleuchtet war. Jever, daß 1 Stunde Fußmarsch vom Platz entfernt liegt, hat nichts mitbekommen, dagegen muß es in Wilhelmshaven toll aussehen.
Ich lebe nun schon in der Erwartung Lottis, für die ich nach langem Suchen ein nettes Zimmer gefunden habe. Ich konnte es leider erst ab 15. 7. mieten, sodaß Lotti so lange in Stettin bleiben muß. Sie schreibt sehr glücklich und zufrieden, und ich gönne ihr die Erholung von Herzen.
Du wirst inzwischen wohl auch aus dem Krankenhaus raus sein. Hoffentlich hat Dir die Ruhe und die gute Verpflegung gut geholfen. Hast Du mit Tante Lina schon einen Kriegsplan ausgeheckt? Wenn Du nach Nassenerfurt kommen solltest, dann sieh doch mal zu, ob wir nicht
von irgend jemandem Dicke Bohnen und Erbsen oder sonst etwas bekommen können. Wie steht es denn in Godesberg mit dem Einmachen? Könnt Ihr Bohnen usw. genug bekommen? Vielleicht kann Hansi mal zu Frau Lamberts (Königswinterer Straße 65) und zu Hüllen mit den Kindern hingehen, damit wir nicht in Vergessenheit geraten.
Ich hatte in der letzten Zeit sehr, sehr viel zu tun. 1. mußte ich Unteroffizier Hohle vertreten, der in Urlaub war, und dann machte uns die größere Aktivität des Tommy zu schaffen. So meine 10 bis 11 Stunden täglich habe ich schon schaffen müssen, dazu gab es fast alle 3 bis 4 Tage Nachtdienst. Von Hansi und der Mu, von Theo und Karl Otto bekam ich auch liebe Geburtstagspost. Letzterer schrieb mir, daß er in Abständen immer wieder mal nach Godesberg geschrieben habe, aber niemals Antwort bekommen hätte. Schreib doch mal eine Karte nach Hannover.
Hans Schultz scheint ja nun doch ganz fest vor zu haben, mich nach Stettin zu holen. Es ist ein beruhigendes Gefühl für mich zu wissen, daß ich nach dem Krieg nicht wieder von vorn in Godesberg unter erschwerten Bedingungen anfangen muß. Sage aber zu niemandem etwas davon, denn das könnte mir sehr schaden, wenn ich in Godesberg bleiben müsste.
(Anm.: Es kam genau anders. Schwester und Schwager mußten 1945 in Godesberg bei uns unterkommen. Diese Perspektive hat Harald noch nicht.)
Wie kommt Ihr denn in Godesberg mit der Arbeit zurecht? Hoffentlich wird es nicht zuviel.
Das Wetter ist hier z. Zt. schweinemäßig. Es ist so kalt, daß ich meinen Pullover rausgeholt habe. In unserer tür- und fensterlosen Halle kann man das sehr gut gebrauchen.
Es grüßt Dich recht herzlich von Herzen und gibt Dir einen lieben Kuß
Dein Jung!