Harald Endemann an seine Frau Charlotte, März 1942 (?)
Mein liebes Lottenkind,
viel wird es nicht werden, aber ein paar Minuten habe ich doch Zeit. Die Anderen sind ins Varieté. Ich konnte nicht mit 1. weil ich zu lange Dienst hatte und 2. weil ich meine Hose waschen und bügeln muß, sie hat es verflucht nötig. Ich habe hier eine neue Montur empfangen und dadurch die Möglichkeit, die alte mal richtig sauber zu machen. Wenn man jeden Tag daßelbe Zeug am Balg hat, kann man nicht sauber machen. Hier dürfen wir nämlich nicht im Drilichzeug arbeiten (es ist immerhin ein höherer Stab), in Wangerooge habe ich ebenfalls schon monatelang das Tuchzeug getragen, weil es für den Drilichanzug viel zu kalt war. So kommt es, daß das Tuchzeug starrt vor Dreck, vor allem von Brikettasche aus Wangerooge.
Ich erzähle Dir hier einen richtigen Mist, aber vielleicht interessiert er Dich doch genauso wie mich Deine Haushalts sorgen. Man kann, wenn man jeden Tag schreibt, nicht immer Welt bewegende Gedanken aussprechen. Apropos, weltbewegende Gedanken! Mir scheint, daß stimmungsmäßig jetzt auf den Kriegseintritt der Türkei hingearbeitet wird. Fällt Dir nicht auch die Häufung von Meldungen aus der Türkei in den letzten Tagen auf? Der Angriff der Japaner auf Indien verlangt ja auch geradezu nach einem Stoß unsererseits auf die andere Flanke Indiens zu. Außerdem liegt auf dem Wege dahin Öl, viel Öl. Außerdem wäre ein solcher Vorstoß auch gleichzeitig einen Flankenbedrohung für den Suez-Kanal. Also ich bin mal gespannt. Der Krieg in diesen Zonen spielt sich ja nun unter Ausschluss der älteren Jahrgänge ab. Wir sehen von der Heimat aus zu und müssen notfalls den Tommy beim Schlips fassen, wenn ihn die Verzweiflung doch mal über den Kanal hetzen sollte, was ich für durchaus möglich, ja sogar für wahrscheinlich halte und wenn es in Norwegen ist. So nun bin ich glücklich von dem Mist in die Politik gekommen. Nachdem ich mich in meinen Vorhersagen sooft getäuscht habe, sollte ich lieber nicht mehr prophezeien, aber Dir kann ich es ja ruhig mal schreiben, ohne mich zu blamieren.
Wir haben jetzt auch unseren neuen Adjutanten bekommen.) Riemann hatte sich übrigens von mir verabschiedet, als wenn wir alte Freunde wären. (Riemann weg, Mitteilung am 16.3.42.) Der Neue ist ein Hptm. Thieme, ist auch Ritterkreuzträger und kommt
direkt aus Russland. Er erzählte sehr interessant. Russische Einbrüche gehen meistens so vonstatten, daß 4 oder 5 oder 6 Wellen Russen hintereinander angreifen und zwar pausenlos, so lange bis die MG´s der 1. Stellungen sich verschossen haben. An dieser Stelle flutete dann die Masse rein. Das kostet natürlich unendlich viel Blut und lange kann sich der Russe das auch nicht leisten zumal man annimmt, daß in diesem Winter allein im Hinterland 15-20 Millionen Zivilisten verhungert sind. Wo irgend etwas nicht nach Wunsch geklappt hat, hat die kommunistische Verwaltung einfach die Lebensmittelzufuhr gesperrt. Es wird im Radio gerade gesagt, daß alle Leute, die eine Reise machen, daß nicht ohne Kennkarte tun sollten. Hast Du einen gültigen Personalausweis? Sonst lass Dir rechtzeitig einen ausstellen.
Wenn ich gewusst hätte, daß ich heute Abend doch noch zum Schreiben gekommen bin, hätte ich die Steuerzettel nicht extra geschickt. Du schreibst in Deinem lieben Brief, den ich heute erhielt, garnichts davon, daß Du auch Post bekommst. Ich hatte es doch extra so eingerichtet, daß Sonntag Post da sein mußte, soweit man das überhaupt einrichten kann.
1000 liebe herzliche Grüße und Küsse
von Deinem Mann