Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 15. Oktober 1942
Stade, den 15.10.1942
Mein liebes Lottenkind,
gestern kam Dein Brief mit dem Hilferuf und heute Dein lieber Sonntagsbrief. Dazu lese ich eben in einem Fernschreiben von dem Angriff von 120 Flugzeugen auf Köln-Bonn und Umgebung mit Treffern in den Leichtmetallwerken, im Hydrierwerk Wesseling (100 % Produktionsausfall für 8 Tage) usw. Das sind ja alles erschütternde Nachrichten, die mich recht sorgenvoll machen. Dabei ist die Sache mit der Steuer und dem Familienunterhalt noch das, wo ich mir am wenigsten bange vormache, weil wir das ganz bestimmt hinkriegen und wenn ich Wehrmacht und Partei zusammen auf die Behörde Hetze. So gern ich diese Sache auch selber geregelt hätte und unter normalen Umständen hätte ich zu diesem Zweck auch Urlaub bekommen, so geht es diesmal beim besten Willen nicht. Hohle liegt schon seit einigen Tagen in Wesermünder im Lazarett wegen Magengeschwüren. Er muß eine Kur, die mindestens 8 Wochen dauert, mitmachen. Ich setze also mal wieder allein und muß mich durchbeißen weiß der Teufel wie. Ich soll als Hilfe noch einen Soldaten und eine Dame bekommen und weil ohle wohl nicht wieder zur Truppe zurückkommen wird, auch Dienststellenleiter werden, aber Urlaub ist unter diesen Umständen unmöglich denn 1. sind die Hilfskräfte noch nicht da und 2. müsste ich sie erst anlernen. Hohle hat mich richtig an der Nase herum gezogen, wie sich jetzt herausstellt, denn er hat anderen schon vor seiner Reise nach Berchtesgaden erzählt, daß er anschließend ins Lazarett ginge und alles so gefiltert habe, daß ihm die schöne Reise nicht durch die Lappen ginge. Daß er sie mir dadurch verdorben hat, hat ihn nicht gestört. An die Behörde werde ich von hier aus einen Brief schreiben, sie muß stillhalten bis ich komme und alles klarstelle.
Hoffentlich habt Ihr den schweren Angriff gut überstanden. Schreibe mir gleich, was alles passiert ist. Telefonisch bin ich zu erreichen über Stade dann Nordstern 2 verlangen und da Nr. 231. ich habe vorgestern ein Paket gemacht, es aber noch nicht zur Post bringen können, weil ich einfach keine Zeit hatte. Es sind 2 Beutel Rosinen und 3 Rollenbonbons für Heidi drin, dazu ein Brot und eine Dose italienische Marmelade oder so etwas Ähnliches. Es kann ja nun zu Heidis Geburtstag unmöglich ankommen, das ist sehr schade. Ich lege Heidi einen Brief bei, damit sie wenigstens etwas hat zu ihrem Geburtstag. 8 Jahre wird das Mädel nun auch schon! Weiß der Teufel, wo die Zeit bleibt. Wie macht sie sich denn jetzt in der Schule? Kommt sie gut mit oder hapert es? Denkt Helga auch daran, was sie bekommt, wenn ihr Zeugnis
besser wird? Was Du über ihr Klavierspiel sagst, hat mich sehr gefreut. Wenn Du nicht mit ihr üben würdest, ginge sie bestimmt nicht mit Riesenschritten vorwärts, denn der Ernst zum Üben fehlt einem so jungen Kindern doch wohl immer und Helga erst recht. Üben macht auch viel mehr Spaß wenn jemand mitmacht. Ob Heidi wohl auch musikalisch ist? Hast Du etwas bemerkt, was darauf schließen ließe?
Daß ich heute dazu komme, Dir etwas ausführlicher zu schreiben, kommt daher, weil ich Nachtdienst habe. Der Gefechtsstand Stade ist ein Ungetüm, das noch in keiner Weise befriedigend funktioniert. Es ist teilweise Spielerrei von Phantasten, was hier mit Riesenaufwand aufgezogen wird, viel zu kompliziert, um zuverlässig zu funktionieren. Dazu wird hier der Krieg zu einem großen Teil von Frauen geführt, die hier bald verfault vor lauter Nichtstun. Da gibt es welche, die haben den ganzen Tag kaum 5 Handgriffe zu tun. Es ist organisierter Blödsinn. Ich möchte mal wissen, ob Hermann (sc.Göhring) dieses Theater gutheißt. Der Gefechtsstand hat etwa die Größe des großen Schulhauses. Von Godesberger Mädels habe ich hier noch nichts gesehen. Es laufen hier so endlos viele rum, daß die paar 100, die ab und an neu dazu kommen gar nicht auffallen.
Ob Ilse Düren ihr Paket bekommen hat, weißt Du wohl auch nicht. Mir hat sie den Erhalt noch nicht bestätigt. Hast Du an Carels mal eine Karte geschrieben? Sie haben sich 2 große Schweine angeschafft, die sie noch 2 Monate mästen wollen. Ich hatte Ihnen für alle Freundlichkeit, die Du und ich bei Ihnen genossen haben, die Flasche Schnaps mitgenommen. Leider kann ich die Schönheit von Stade kaum genießen, da ich keine Zeit habe. Einige Partien sind ganz wundervoll. Ich möchte zu gerne fotographieren kann aber nicht, weil ich den Apparat noch nicht habe. Hast Du das Paket schon abgeschickt? Denke bitte auch an den Film (Lichtempfindlichkeit 21 Sch.)
ich bin mal gespannt, wann ich von Hohle die restlichen 30 Mk bekomme. An den Abrechnungen Salvini kann ich keine Fehler finden. Es müssen doch monatlich die Verwalterprovision und die Vorlagen übrig bleibt. Ich weiß wirklich nicht wie Du das machst, daß nur ein paar Mark alle paar Monate übrig bleiben, da wirst Du Dich sicher getäuscht haben. Wenn Du das Geld sammeln würdest, würdest Du immer merken, daß was übrig bleibt. Schreibe mir doch bitte mal, ob Becker die Versicherungen bei Wiesenthal und Schwinger gemacht hat.
Hänschen hat mir jetzt aus Posen einen Brief geschrieben. Sie ist wirklich rührend, wo ich ihr doch schon auf mindestens 3 Briefe nicht geantwortet habe.
1000 liebe Grüße und Küsse
Dein Harald