Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 22. Dezember 1942
Weihnachten 1942
Mein liebes , liebes Lottenkind,
Nun sitze ich hier bar jeder Weihnachtsstimmung und kann nicht fassen, dass übermorgen der Heilige Abend ist. Gestern haben wir hier unsere Weihnachtsfeier gehabt. Trotz des Lichterbaumes kam nicht die Spur von Weihnachtsstimmung über mich oder irgendjemand und das war letzten Endes gut, denn Weihnachtsstimmung unter den gegebenen Umständen hat zu viel Wehmütiges. Wilhelm Lichtschlag ist heute in Urlaub gefahren. Ich habe ihm das Gebetsbüchlein des Kaisers Maximilian geschenkt und ihm damit eine große Freude gemacht.
Der letzten Tage Qual war groß, denn man hatte mir die Bierzeitung mal wieder angehängt. Bierzeitung zum Weihnachtsfest – ist das nicht stimmungsvoll. Man vergaß leider, dass ich Zeit dazu brauchte, so musste ich alles in der sogenannten Freizeit, d. h. Nachts machen. 29 Seiten Schreibmaschinen nur Ferse (= Verse) . Großer Gott! Ich denke, rede und träume nur noch in Versen. Ich habe viel Anerkennung geerntet aber auch viel Ablehnung von Leuten, die sich auf den Fuß getreten fühlten. Mir ist es egal.
Wenn ich mir Weihnachtsstimmung holen will, dann kann ich das nur, wenn ich an Euch und andre schöne Weihnachtsfeste früherer Jahre denke. Ach Lottin(g), Weihnachten kann man doch eigentlich nur zu Hause feiern. Ich denke noch an die Freude, die Du mir im vergangenen Jahr mit dem Bild von unserem Weihnachtszimmer gemacht hast. Hätt ich es doch gleich wieder hier. Ich wollte mich satt sehen daran.
Als ich das Bild seinerzeit machte, ahnte ich nicht welche Bedeutung es für mich mal bekommen sollte. Weißt Du noch, es war der Baum, über den Du Dich anfänglich so erschrocken hattest, weil er so monströs groß war. Wie festlich waren unsere Räume und wie festlich war die Stimmung von kleinen Schönheitsfehlern abgesehen. Ich sehe immer noch unseren großen Kreis. Daraus fehlen mir nun auch schon 2 für immer und ich für dieses Mal.
Manchmal kommt mir das Leben so verworren vor. Wenn es nun übermorgen 6 Uhr schlägt und im Radio hoffentlich wieder die Glocken erklingen, dann werde ich im Geiste bei Euch sein, werde die großen Augen der Kinder und ihren Jubel mitsehen und miterleben. Hoffentlich kommt das Paket für Ursel noch an. Die Post braucht dieses Jahr endlos. Dein Paket ist auch noch nicht da, dagegen ist das Bild von Voorthuysen mit blitzartiger Geschwindigkeit gekommen. Ich danke Dir für die Besorgung. Die Rahmung ist auch hier sehr schwierig, ist aber doch noch gelungen. Theo hat mir ein Bild von sich geschickt. Ich lege es bei. Ist das noch der Fezbruder von damals. Wie viel Enttäuschung spricht aus dem Gesicht!
Sinnvollerweise hat man mir heute nach den durcharbeiteten Nächten der letzten Tage Nachtdienst gegeben. Aber auf diese Weise kommst Du wenigstens zu Deinem Weihnachtsbrief. Trotzdem ich komme, mußt Du mir aber doch brieflich schon das Fest genau beschreiben. Ich kann mir ja dann alles genau vorstellen. Am Weihnachtsabend mußt Du allen einen Kuß von mir geben. Nur gut, daß ich sobald danach schon komme, sonst fiele mir alles viel schwerer. Ich zähle jetzt schon die Tage, es sind heut noch 8.
[Am Rand:] 1000 liebe Weihnachtsgrüße und Küsse auch an die Omis und die Kinder von
Euerem Harald.