Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 9. Mai 1943
Jever, den 9.Mai 1943
Mein liebes Lottenkind,
Eben wird im deutschen Volkskonzert das Lied „Grüß mir das blonde Kind vom Rhein“ gespielt und da muss ich dran denken, wie ich das Lied einstmals von meiner Junggesellenbude aus sehnsüchtig zum Museum herübergeblasen habe. Gott, wie lange ist das eigentlich schon hier! Heute ist Sonntag und der Chef liegt krank zu Bett und deshalb kommen die anderen Offiziere auch nicht oder nur kurz und so kommt es, dass ich zum 1. Mal daran denken kann, dir einen längeren Brief zu schreiben.
Es ist hier lausig kalt. Am 1. Mai ist natürlich promt die Heizung ausgegangen, weil bei der Luftwaffe nach dem Kalender und nicht nach der Temperatur geheizt wird. Wir frieren nach Zahlen und nun bekommt mein Kocher noch eine besondere Verwendung. Er steht nämlich unter meinem Platz und strahlt mich von unten warm an, was die Kälte wenigstens etwas mildert. Auch sonst ist er von unschätzbarem Wert. Ich brauche jetzt nie mehr kalten Kaffee zu trinken und mich mit kaltem Wasser zu rasieren. Der Kocher funktioniert übrigens ganz famos, er braucht nur ein wenig länger, bis er heiß wird, weil das Feuer nicht offen ist. In 3-4 Minuten habe ich aber in meinem Aluminium Kochgeschirr warmes Wasser oder warmen Kaffee. Er hat nur eine unangenehme Eigenschaft, dass er nach unten durchheizt, sodass Tische oder Stühle, auf denen er steht Brandflecken bekommen. Als Lanzer lässt mich das aber kalt.
Nun ist das ja noch nicht halt und wir bekommen in Afrika schon den zweiten Nackenschlag. Hoffentlich bekommen wir wenigstens noch einige Leute heraus. Wenn wir so viele Leute dort wegholen können, wie der Tommy aus dem viel geschmähten Dünkirchen herausgeholt hat, dann kann wir heilfroh sein. Glauben tue ich es nicht. Hoffentlich ist Detlef nicht mehr hingekommen. Die nächsten Ereignisse werden auch nicht lange auf sich warten lassen. Der Tommy ist hier in letzter Zeit auffallend ruhig, ob er Kräfte sammelt? Ich traue dem Frieden nicht.
Anliegend findest Du einen Artikel der kölnischen Zeitung über „Flämische Dichtung“. Es ist die Besprechung eines Buches von Martha Hechtle. Seht doch mal zu, dass Ihr mit ihr in Verbindung kommt. Es ist bestimmt eine Verwandte.
Du hast mir auch noch nicht geschrieben, wann Ernst (Heuse, Schwager in spe) abgefahren ist und ob Ihr noch einen schönen Tag gehabt habt. Er ist ja
sehr still, hat aber auf mich einen sympathischen Eindruck gemacht. Hänschen muss all ihre Energie aufbieten, um sich auf ihn einzustellen. Ich kann mir gut denken, dass das gar nicht leicht ist.
Ich will heute Abend – es ist unterdessen Abend geworden – auch meinem Stader Bekannten schreiben, wozu ich noch nicht gekommen bin. Es ist wirklich eine Schande. Morgen hat nun Häschen Geburtstag und ich kann ihr nicht schreiben, weil ich die Anschrift nicht mehr habe. Ich bat Dich in einem meiner letzten Briefe darum. Ich komme nicht richtig in Fluss, denn ich friere zu sehr, das hemmt jeden Geistesfluß, dazu habe ich keine Zigaretten, was mich irgendwie beeindruckt. Es ist zu verrückt, aber es ist so. Ich möchte jetzt ohne die Hemmung der 3 Minutengrenze mit Dir telefonieren und so richtig mit Dir erzählen. Was ich Dir dann alles sagen würde, weiß ich selbst nicht ganz genau, weil ich geistig zu sehr schwimme. Durch die entsetzlich viele Arbeit habe ich fast meine eigenen Gedanken verloren. Ich brauch erst wieder eine gewisse Anlaufzeit.
Wilhelm L. ist gestern auf Sonntagsurlaub gefahren, morgen früh muss er wieder hier sein. Es ist doch eine tolle Plackerei, aber man nimmt sie in Kauf, um mal wieder zu Hause sein zu können und wenn es nur für Stunden ist. Thea hat sich nun doch eine Karte an mich von der Seele gerissen, ich war fast berührt, was muss die für lange Weile gehabt haben. Eine Karte von Heidi hat mich gefreut und entsetzt zu gleicher Zeit. Entsetzlich war die Rechtschreibung. Übrigens ist es dabei bei mir auch nicht allzu weit her, es langt aber immerhin so weit daß ich hier als Autorität bei Mannschaften und Offizieren auf diesem Gebiet gelte. Na bitte!
Hat sich eigentlich Schmidt aus Ittenbach bei Dir gemeldet? Wenn nicht, dann bringe Dich mal in Erinnerung. Schreibe auch an Hüllen, damit er uns auf alle Fälle in seine Berechnung einkalkuliert, denn man weiß nicht, wie in diesem Jahr die Kartoffelernte ausfällt. Frage ihn auch gleichzeitig wegen Zwiebeln und Pflaumen usw., damit er weiß was er an uns los wird.
Wie das mit dem Urlaub wird, ist mir noch vollkommen schleierhaft. Ich hoffe immer noch, dass ich ihn in einer günstigen Stunde herausholen kann, aber sehr günstig muss sie schon sein, die Stunde, denn unser Chef steht auf dem Standpunkt, dass das ewige Urlaubfahren nichts tauge. Es lenken nur ab und darin hat er ja nicht einmal so unrecht.
So nun gib den Kindern jedem ein liebes Küsschen und Grüße die Omis recht lieb von mir. Du selbst bekommst einen recht lieben, sehr langen Kuss von mir um noch 2 auf Deinen lieben Augen obendrein von Deinem
Mann