Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 14. Mai 1943
J e v e r , den 14.5.43
Mein liebes Lottenkind,
Wenn Du diesen Brief bekommst, ist Muttertag und Du solltest doch wissen dass ich an Dich gedacht habe und denke. Wenn es so ginge, wie ich gehofft hatte,, dann könnte ich Dir heute sagen, was noch einen halben Monat, dann bin ich wieder bei Dir, aber daran ist leider nicht zu denken und ich muss froh sein, wenn ich im Juli wegkomme am Muttertag, werden alle Kinder recht lieb zu Dir sein und werden Dir etwas schenken und ich bin viele hundert Kilometer weit weg und kann nichts tun, als Dir sagen das ich Dich schrecklich lieb habe und dass ich mich schrecklich nach Dir sehne. Trotz der vielen Arbeit, die mich wirklich so sehr in Anspruch nimmt, der sich erst einmal ins Kino (Holzoper) gekommen und nach dem Osterurlaub noch nicht einmal bei Carels gewesen bin, bin ich doch viel in Gedanken bei Dir. Es gibt viel plötzliche Visionen, in denen ich Dich in irgendeiner Situation bildlich sehe. Es ist schön, dass es so etwas wie einen inneren Film gibt, den man zwar nicht nach Belieben abrollen lassen kann, der ein aber doch hier und da einen eigenen Lebensausschnitt zeigt. In meinem Leben bist und bleibst Du nun einmal die Hauptperson und deshalb bist Du auch die Diva meiner Visionen.
Nun haben wir noch das unheimliche Glück, dass ich bisher 4 bis 5 mal im Jahr zu Hause sein konnte, wenn auch manchmal nur für wenige Tage (Anm. :wegen der geschäftlich bedingten Sonderurlaube) , und doch kommt es mir vor, als sei die Trennung ungebührlich lange. Ich darf gar nicht daran denken, daß ich mal, wie es bei Ostfrontkämpfern fast die Regel ist, über ein Jahr nicht nach Hause kommen könnte.
Wie geht es denn nun unseren Kindern? Auch sie sehe ich häufig, wie sie sich mir durch irgendwelche Situationen besonders eingeprägt haben. Da ist Helge am Klavier mit ihrem süßen Kinderprofil, da ist halt die, wenn sie mit schiefen Kopf in der Tür erschien, der Klaus, wenn er sich mit dem Daumen im Mund hutscheln lässt, die Ulla, wenn sie mit hochrotem Kopf vom Spielen kommt und ihre blauen Augen blitzen und lachen oder Jürgen, wenn er mit allen Registern der Verführung sich etwas zu erbetteln sucht. Wie wird es eigentlich mit Heidi? Wann kommt sie zurück und wiederholt oder bringt sie? Trotz allen schönen Briefen weiß ich nämlich nicht genau, ob Heidi sich wirklich wohl fühlt.
Dann habe ich noch eine Bitte. Wenn Deine Zigaretten dort verfallen, weil Biederbeck keine herausrückt, dann schicke mir bitte Deine Karte hierher. Ich schicke Dir dann die Zigaretten zu. Schneide aber bitte keine Abschnitte ab, den auf abgeschnittene Abschnitte bekomme ich auch nichts.
Unterdessen ist, Gott sei Dank, das Wäschepaket hier angekommen. Es war wirklich allerhöchste Zeit, denn ich starte vor Schmutz. Ich weiß nur nicht recht, ob ich noch welche schicken soll, denn jetzt im Sommer braucht man noch mehr Wäsche und wenn es dann immer so lange dauert, kann ich mir nicht helfen. Die Wäsche wird dann auch zu schmutzig und muss zu sehr bearbeitet werden, um sauber zu werden, was den heutigen Qualitäten auch nicht gut bekommt. Schreibe mir mal darüber.
Heute ist nun bei Euch große böse Geburtstagsfeier von gleich zwei Trabanten. Das wird sicher ein großes Halloh werden, ich kann mir gut denken, dass Jürgen jeden gewissenhaft darauf aufmerksam machen wird, dass er Geburtstag hat, damit es ja keiner vergisst. Ich guckte zu gern mal eben zu Euch herein. Leider kann ich so garnichts unternehmen.
So nun grüße ich Dich 1000 mal und gebe Dir viele, viele liebe Küsse mein herziges Frauchen, unsere süße Mutti.
Dein Harald