Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 1. Juni 1943

1.6..43

Mein liebes Lottenkind,

allem besseren Wissen zum Trotz hatte ich doch ein Urlaubsgesuch eingereicht in der stillen Hoffnung, irgend ein günstiges Ereignis, von dem ich selbst nicht wusste, woher es kommen sollte, würde ihn zur Annahme verhelfen. Es kam, wie es kommen musste. Ich habe es heute zerrissen mit einem gehörigen Anschiß (verzeihe das harte Wort, aber ich weiß kein besseres) zurückbekommen. Mir geht es nun nicht anders als Dir, denn ich hatte mich innerlich irgendwie ganz fest auf Urlaub eingestellt und habe ihn auch dringend nötig. Über allen Ärger der letzten Zeit hatte ich mir immer wieder hinweggeholfen mit der Hoffnung – noch einen Monat, noch 14 Tage noch 10 Tage, – dann bist Du zu Hause. Woher ich diesen Optimismus nehme, ist mir selbst schleierhaft, genug ich hatte ihn. Nun kommt mir die ungewisse Zeit bis zum wirklich gewährten Urlaub wie ein unübersteigbarer Berg vor. Da ich zu Deinem Geburtstag Dir diesmal gar nichts schenken kann, da es 1. nichts gibt und ich – wenn es wirklich etwas gäbe, keine Zeit hatte etwas zu besorgen, wollte ich Dir kurzerhand mich selbst zum Geburtstag schenken. Nun ist auch das nicht möglich und ich stehe da, ohne die geringste Möglichkeit, dir etwas zu schenken und Dir damit eine Freude zu machen. Ich weiß zwar, dass Du alles einsiehst und Dich schon freust, wenn ich Dir sage, wie unendlich lieb ich Dich hab, aber mir genügt es nicht. In diese Stimmung kam Dein lieber Brief wie ein rechtes Labsal. Es war sehr gut, dass es gerade heute kam, denn ich bin doch sehr niedergeschlagen. Wenn ich nur einen Ausweg wüsste! Kannst Du nicht im Anschluss an Berlin hierher kommen? Überlege es mal ganz genau, ob es nicht geht. Es müsste eigentlich gehen. Von Berlin fahren durchgehende Züge nach Wilhelmshaven. – Abrechnen (unleserlich) bitte außer Wiel nichts mehr. Schreibe auch bitte an Frau v. Salvini, dass sie unser monatliches Entgelt nicht mehr überweist. Den Grund werde ich ihr schreiben. Was ist denn mit

mit der Mu und Thea los? Mutter machte in ihrem Brief schon Andeutungen, Deine Sehnsucht nach hier oben kann ich irgendwie begreifen, obwohl Dich die Kälte doch wohl sehr stören würde. Hier ist es nämlich trotz Sonne noch lausig kalt durch den ewigen kalten Wind. Ich friere mich oft, wie würde es Dir da erst ergehen. Wir haben hier erst 2 wirklich warme Tage gehabt. Hoffentlich wird das bald besser. Trotzdem blühen die Wiesen in alter Pracht. Ich schrieb Dir vergangenes Jahr bereits von dieser Schönheit. Ich möchte jeden Abend hin laufen und schauen. Bei Carels im Garten blüht gerade der Rotdorn, daran magst ermessen, wie es hier oben noch aussieht. Ich komme einfach nicht dazu irgendjemand zu schreiben. Ich habe mindestens gegen ein Dutzend Leute ein schrecklich schlechtes Gewissen. Aber was kann ich machen!

Ich habe Dich sehr, sehr lieb
Dein Mann