Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 23. November 1944

Mein liebes Lottenkind,

für den Fall, daß Du meinen letzten Brief nicht oder noch nicht bekommen haben solltest, schreibe ich das Wichtigste stichwortartig noch mal.

1) Du mußt bald fahren. 1a) Kinder gut angekommen.

2) Fahre nachts und komme bei Tag an.

3) Nimm den Koffer, den ich mit nach Frielendorf nahm, wieder leer mit nach G.

4) De Amerlikaner wird bei Aachen keine Ruhe geben und er kommt, wenn auch langsam vorwärts. Heute wurde Eschweiler geräumt. Wie es kommen kann – siehe Einbruch ins Elsas (!).

Hier hatte ich gestern ein sehr nettes Erlebnis. Von Frl. Penner hatte ich erfahren, daß Thea Lindemann aus Herchen hier in Steinhude Lehrerin ist. Ich habe sie nun gestern Abend aufgesucht und fand sie in der Volksbücherei, wo sie Bücher ausgab. Ich hätte sie nicht wiedererkannt, denn sie ist bereits grau geworden und auch von uns ist ja der 1. Lack ab. So erkannte sie mich dann auch nicht, sodaß ich Zeit hatte mich eine Weile da rumzurekeln bis sie schließlich etwas pikiert fragte, wer sind Sie denn eigentlich. Als ich sie dann noch mit Thea und Du anredete, war sie ganz ratlos bis ich ihr dann sagte, sie möge mal 21 Jahre (so lange haben

wir uns nicht gesehen – zurückdenken. Da waren Ausgewiesene aus Godesberg ... und da sagte sie sofort Harald Endemann. Sie freute sich sehr und stiftete zur Feier des Wiedersehens in ihrer Pension eine Flasche Wein und Zigaretten. Bis 12 Uhr haben wir erzählt und erzählt. Es war wirklich reizend. Hoffentlich habe ich bald mal wieder Zeit, einen Abend mit ihr zu verbringen.

Merkwürdigerweise hat Hans Benthien auf meinen Brief noch nicht wieder geantwortet.Ich will mal sehen, ob ich dieser Tage mal hinkomme: Ich schicke Dir wieder eine Reihe Briefe mit: Der Brief von Hans Schultz, den Du hoffentlich schon bekommen hast, weil er auch an Dich abgeschickt wurde, ist besonders nett: Die Hilfsbereitschaft ist rührend: Die Mu wird wohl hinmüssen (nach Stettin zu ihrer Tochter) . - Sehr wichtig ist das Retten von Kleidern aller Art und Wäsche.

Schicke mir bitte den Brief von Charly Vogel wieder.

1000 liebe Küsse
Dein Mann

Anmerkung Stefanie Endemann: Bei der französischen Besetzung des Rheinlands 1923 wurde Haralds Vater Gustav Endemann als notorischer Gegner der Besetzung innerhalb von 24 Stunden ausgewiesen. Das hieß für ihn - Harald kam mit Notabitur vom gleichen Tage mit - zunächst andere Rheinseite, Hennef an der Sieg. Herchen liegt nicht weit davon.