Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 12. Februar 1945
12.2.45
Mein liebes Lottenfrauchen,
Heute brachte mir unser Nachkommando aus Pf. Neben einem Haufen anderer Post auch zwei liebe Briefe von Dir mit. Sie sind vom 17. (?) und 20. 1. und haben, weil sie verhältnismäßig neu sind, doppelten Wert. Über die Kinder in Frielendorf brauchst Du Dir keine Gedanken zu machen. Sie haben es wirklich gut. Sie sind munter und vergnügt und Helga ist richtig rund geworden. Sie hat wohl Heimweh. Das hat sie mir in einem unbeobachteten Augenblick gestanden. Es fehlt ihr die Schule und eine Beschäftigung und wohl auch die richtige Spielkameradin. Wenn das Heimweh aber wirklich an ihr fräße, dann hätte sie nicht so zugenommen. Deine Gefühle kann ich nur zu gut verstehen, es geht mir ja kaum anders. Ob die Evakuierung noch viel Sinn hat, weiß ich auch nicht. Vielleicht seid Ihr ja aufgrund des Terrorangriffs garnicht mehr in G. Die Ungewissheit ist zum verzweifeln. Hier im Osten sieht es böse aus die Russen sind wohl nicht zu halten. Ich habe auch das Gefühl, dass unsere Truppen demoralisiert sind und dass schon der Ruf „die Russen kommen!“ viele zum Ausreißen bringt und dass die Führung, wenn sie zu Gegenaktionen übergehen will, ins Leere greift. Ich habe nun das dumme Gefühl, dass die Heeresleitung viele Truppen in Berlin einschließen lassen will, um sie so zum Kämpfen zu zwingen, denn dann heißt es kämpf oder stirb oder wahrscheinlicher noch kämpf und stirb. Ich denke Tag und Nacht über unser Schicksal nach und komme immer wieder zu den gleichen trostlosen Ergebnissen. Die Vergleiche mit dem 7jährigen Krieg habe ich auch bald satt. Sie lahmen auf allen Seiten. Einen Krieg im Jahre 1945 kann man eben nicht nur mit einer Armee führen, sondern es ist ein Krieg der Industrien und die arbeitet auf der anderen Seite völlig ungestört und bei uns, soweit sie überhaupt noch arbeitet, unter beinahe unmöglichen Umständen. Wir haben den Sieg einfach durch unglaubliche Luderei im Jahre 1940/41 aus der Hand gegeben. Selbst solche ernsten Zeichen, wie Stalingrad …
[diese Rückseite fand sich später in einem undatierten „Irrläufer“. Ein can liegt noch nicht vor.]
... haben bei uns nur eine Flut von Reden und großen Worten hervorgerufen. Alle geplanten Maßnahmen sind versandet. Nun müssen wir alle die Suppe auslöffeln. Aber selbst das wollen wir tun wenn wir nur zusammenbleiben können. Ob die 1. Voraussetzung dafür, das wir am Leben bleiben, erfüllbar ist. Wird unser Haus noch stehen und wenn ja, erhalten bleiben. Ich bekam heute auch einen lieben Brief von der Tat. Sie schrieb, dass Ihr im Falle der Not kommen solltest, lediglich die Rücksicht auf den angespannten Hans, der wirklich recht satt geworden ist, hielte sie davon abzusagen kommt sofort und kommt alle. Der Brief ist so lieb und so herzlich, dass man ihn wirklich nicht als Absage betrachten kann. Wetter fühlt sich im Grunde wegen der Nähe des Werkes und der nicht allzu weit entfernten Muna , die allerdings unterirdisch ist (unsicher?). Ich verstehe oft nicht, wie das Leben trotz dieser trostlosen Lage noch immer so weiter geht, als wäre nichts geschehen. Ich selbst , obgleich mich die Sorge hart plagt, esse, schlafe und lache. Ich. Es ist mir oft selbst unbegreiflich und manchmal komme ich mir selbst unwirklich vor. Heute kam Wilhelm Lichtschlag, der 14 Tage im Lazarett gelegen hatte mit Kiefernhöhlenvereiterung, hier an. Er hatte noch 8 Tage Urlaub bei seiner Familie in Homburg v .d..H. Herausgeschlagen. Der glückliche! Ich würde wochenlang reisen, um einen einzigen Tag bei Euch sein zu können. Hoffentlich hast Du inzwischen meine Briefe von mir bekommen und weißt, wo ich bin. Ich habe heute eine neue Stabshelferin bekommen und habe nun eine Hilfe und gleichzeitig die Verpflichtung, diesen ahnungslosen Engel in die Mysterien meines Lebens einzuarbeiten, ob es mir noch gelingt? Wer weiß wie alles kommt. Dass wir von Pfungstadt weg sind tut mir leid. Immerhin war ich Euch dort um einige 100 km. näher als hier und hatte die reizenden Edelmanns, denen ich für die vielen Freundlichkeiten, die sie mir erwiesen haben, herzlich dankbar bin.
Ich küsse und grüße Dich und die Kinder recht herzlich
Dein Harald